Bagdad/Washington. .

Seit Wochen verschärft sich im Schatten des Bürgerkriegs in Syrien die Sicherheitslage im benachbarten Irak. In den vergangenen zwei Wochen starben dort bei Bombenanschlägen und heftigen Kämpfen zwischen sunnitischen Aufständischen und dem schiitisch dominierten Militär über 200 Menschen. Der April war mit 712 Toten nach Zählung der Vereinten Nationen der blutigste Monat im Irak seit fünf Jahren. Der deutsche UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler sieht das Land an einer „Wegscheide ins Unbekannte“. Und in den USA wächst die Angst, dass Amerika das Land womöglich zu früh verlassen haben könnte.

Ryan Crocker war von 2007 bis 2009 Amerikas Botschafter in Bagdad. In einem Wortbeitrag zum wieder aufgeflammten Religionskrieg im Zweistromland in der „Washington Post“ skizziert er die Sorge, dass die Gewalt zwischen den zentralen Religionsgemeinschaften – den Schiiten und den Sunniten – wieder die Horrorzahlen von 2006 erreichen könnte, als Monat für Monat bis zu 3000 Menschen dem innerislamischen Kampf um die reine Lehre zum Opfer fielen. Dass sich der Machtkampf im Irak mit den blutigen Auseinandersetzungen im Nachbarland Syrien vermischt, könne zudem zu einem Flächenbrand führen.

Um ihn zu vermeiden, verlangt Crocker von der Regierung Obama eine massive diplomatische Offensive. Sprich: Druck auf Nuri al-Maliki. Iraks seit 2006 amtierender Regierungschef, ein Schiit, ist seit vergangenem Dezember Adressat von Massenprotesten vor allem sunnitischer Demonstranten. Sie kritisieren seinen autoritären Führungsstil und beklagen, dass die sunnitische Minderheit politisch von der schiitischen Mehrheit an den Katzentisch verbannt ist.

Zunehmende Militarisierung

Diese Einschätzung teilen auch irakische Politiker, die zwischen den Fronten stehen. Shwan Mohammed Taha, Kurde und Mitglied im Sicherheitsausschuss des irakischen Parlaments, wirft der Regierung Maliki vor, schuld an der Eskalation des Konfliktes zu sein. Der Aufstand der Sunniten in der westlichen Unruheprovinz Anbar und in der im Norden gelegenen Millionenstadt Mossul sei eine Reaktion auf die schlechte Regierungsführung Malikis. „Unsere Regierung agiert ohne Weisheit“, sagte Taha der NRZ. Die legitimen Forderungen der sunnitischen Demonstranten nach der Schaffung von Arbeitsplätzen und einer Verbesserung der Infrastruktur habe Maliki nicht erfüllt, sie stattdessen als Terroristen und Anhänger der unter Saddam Hussein regierenden Baath-Partei diffamiert.

Zugleich treibe der Ministerpräsident die Militarisierung des Landes voran: „Militärs besetzen immer mehr Schlüsselpositionen, in sämtlichen Städten stehen Einheiten der Armee. Die lokalen Politiker werden zunehmend entmachtet“, klagt Taha. Außerdem flössen immer mehr Waffen ins Land, das Militär werde massiv aufgerüstet und personell aufgestockt. „Das ist ein gefährliches Zeichen für die Zukunft.“

Längst tummeln sich wieder Extremisten jeder Couleur im Land. Neben dem irakischen El-Kaida-Ableger ist jetzt auch ein Ableger der schiitischen Hisbollah im Irak aktiv. In jüngster Zeit sind erstmals seit Jahren wieder Terroranschläge auf sunnitische Moscheen verübt worden. Nicht von ungefähr hatte der US-Geheimdienst CIA nach Berichten des „Wall Street Journal“ bereits vor Wochen sein Personal in der Niederlassung Bagdad verstärkt. Gemeinsam mit irakischen Spezialtruppen leiste die CIA Hilfe im Anti-Terrorkampf, heißt es.

„Geht Amerika durchdacht voran?“

Emma Sky, bis 2004 Beraterin im nordirakischen Kirkuk und heute Wissenschaftlerin an der Yale-Universität, befürchtet, dass sich die Bürgerkriege zwischen Sunniten und Schiiten in Syrien und im Irak zusehends vermengen, angetrieben und finanziert durch den Iran und verschiedene Terror-Gruppen. Ihre Frage lautet: „Geht Amerika aktiv und durchdacht voran und bemüht sich aktiv mit Partnern wie der Türkei um eine bessere Macht-Balance in der Region – oder beschäftigen wir uns später nur mit den unvermeidbaren Konsequenzen (des Nichtstuns)?“