Washington. . Nachdem bekannt wurde, dass die Truppen des syrischen Diktators Assad wahrscheinlich Nervengas gegen ihre Gegner eingesetzt haben, wird ein Einsatz der Supermacht im Syrien-Konflikt wahrscheinlicher. US-Präsident Obama hatte Syriens Präsident Assad stets vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt. Noch zögert der Präsident aber.

Steht im syrischen Bürgerkrieg eine militärische Intervention der USA bevor?

Um diese Frage kreist die internationale Debatte nach aktuellen Berichten amerikanischer Geheimdienste, die erstmals den Einsatz von Giftgas durch das Assad-Regime mit großer Wahrscheinlichkeit nahelegen. Ein Überblick:

Worauf basieren die neuen Erkenntnisse, die Verteidigungsminister Chuck Hagel am Donnerstag öffentlich gemacht hat?

Israel, Großbritannien und Frankreich hatten in den vergangenen Wochen detailliert berichtet, dass Assad-Truppen zwischen Dezember und März mindestens dreimal das Nervengift Sarin eingesetzt haben sollen - in Homs, Aleppo und in einer Vorstadt von Damaskus. Dabei sollen zwei Dutzend Menschen gestorben sein. Erdproben und Blutproben von Verwundeten sollen den Einsatz der international geächteten Chemiewaffen belegen können.

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US-Dienste schließen sich der Bewertung jetzt weitgehend an - aber noch nicht vollständig. Nach internationalen Geheimdienst-Berichten hat Syrien cirka 1000 Tonnen dieser Stoffe in über 50 Depots gelagert. Es handelt sich dabei um Giftgase wie Sarin, Senfgas, Tabun oder VX. Sie lösen Kopfschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen, Durchfälle, Husten, Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit, Verätzungen und Lähmung der Atemmuskulatur aus. Bei Sarin tritt binnen Minuten der Tod ein.

Warum bringt das US-Präsident Obama unter Zugzwang?

Er hat seit Ausbruch des Bürgerkrieges mehrfach zum Thema Chemiewaffen Stellung genommen und ihren Einsatz oder ihre Weitergabe durch das Assad-Regime an Dritte als Wegscheide beschrieben. Dann wäre eine „rote Linie“ überschritten, sagte er erstmals im vergangenen Sommer. Dies würde seine „bisherige Haltung klar verändern, dass eine Militärintervention die Situtation nur verschlechtern kann“. Im Dezember 2012 setzte er nach: „Wenn Sie den tragischen Fehler begehen, diese Waffen einzusetzen, wird dies Konsequenzen haben, und sie werden dafür zur Verantwortung gezogen.“

Welche Konsequenzen?

Genau das ist strittig. Die Republikaner und Israel interpretieren Obama so, dass dann ein militärisches Eingreifen der USA aus humanitären Gründen zwangsläufig ist. Sie drängen geradezu darauf. Obama hat aber bis heute nicht mit einem Satz klar gesagt, was er im Falle eines Falles zu tun gedenkt. Sämtliche Formulierungen sind in ihrem Droh-Charakter extrem dehnungsfähig.

Denkbar wäre auch, einfach eine neue „rote Linie“ zu ziehen. Zumal dann, wenn sich bewahrheiten sollte, dass Giftgas nur in sehr geringem Maße freigesetzt wurde. Kritiker fürchteten, dass Assad dadurch erst recht ermutigt würde, Chermiewaffen massenhaft einzusetzen.

Warum reagiert das Weiße Haus so passiv auf die Giftgas-Berichte aus den eigenen Reihen?

Man ist sich einfach nicht hundertprozentig sicher. Es gibt bisher keine lupenreinen Belege für die Frage: Wer hat wann gegen wen Giftgas eingesetzt? Es könnten auch Pestizide sein, die gefährlich sind, aber nicht tödlich, sagen Verteidigungsexperten im Pentagon. Denkbar sei auch, dass Rebellen dahinter stecken, die sich der Giftgas-Bestände bemächtigt haben. Oder: dass chemische Stoffe unbeabsichtigt freigesetzt wurden.

Traut der Präsident seine eigenen Geheimdiensten nicht?

Doch, aber: Nach dem Desaster vor dem Irak-Krieg, als die CIA Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen andichtete, fasst das Weiße Haus diese Informationen mit besonders spitzen Fingern an. Schon einmal, 1998, haben die USA auf Grundlage falscher Analysen im Sudan eine pharmazeutische Fabrik in Schutt und Asche gelegt.

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Von Dirk Hautkapp

Der Verdacht, dass dort Sarin hergestellt wird, bestätigte sich später nicht. Obama will darum, dass eine unabhängige Institution den Befund bestätigt, die sich später auch mit einem abgestimmten Vorgehen der Völkergemeinschaft beschäftigen müsste.

Wer soll das tun?

Experten der Vereinten Nationen, in deren Sicherheitsrat China und Russland bisher jedes harte Einschreiten gegen Damaskus blockieren. Problem dabei: Die Inspekteure stehen bereit und könnten binnen weniger Tage ihre Untersuchungen beenden. Syrien lässt sie aber nicht ungehindert ins Land. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat das Assad-Regime gestern erneut zu mehr Transparenz aufgerufen.

Ist das die ganze Wahrheit? Geht es für Washington nur um einen unabhängigen Nachweis?

Nein. Alle Bemühungen Washington zielen darauf ab, möglichst viel Zeit zu gewinnen und sämtliche Schritte in einem breiten Konsens mit Nato, UN, arabischen Anrainer-Staaten, Israel sowie Russland und China zu verabreden. Das kann bis zum St. Nimmerleinstag dauern. Obama scheut grundsätzlich ein erneutes militärisches Vorgehen.

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Er hat die Kriege in Afghanistan (so gut wie) und im Irak (bereits geschehen) beendet und zehntausende Soldaten heimgeholt. Ein militärisches Engagement Amerikas in Syrien würde im Nahen Osten eine neue Front entstehen lassen, mit unübersehbaren Folgen.

Welche Rolle spielt dabei der Iran?

Die Fehde über das iranische Atom-Programm ist alles andere als ausgestanden. Hier steht latent eine militärische Warnung Washingtons im Raum. Ein Eingreifen in Syrien könnte Teheran bestärken, noch schneller nach der Bombe zu greifen. Kritiker dieser These halten dagegen: Nur ein Militärschlag gegen Assad würde den Mullahs zeigen, dass Obama es wirklich ernst meint.

Welche militärischen Optionen hätte Obama?

Spezial-Kommandos könnten die Chemiewaffen-Depots einnehmen und sichern, unterstützt von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer. Dafür veranschlagt das Pentagon in Planspielen bis zu 70 000 Soldaten. Die USA könnten die zersplitterte Opposition mit robusten Waffen ausrüsten und über Syrien eine Flugverbotszone einrichten.

Mit welchen Aussichten auf Erfolg?

Bereits heute sind massenhaft Waffen im Land. Niemand weiß genau in welchen Händen. Washingtons Sorge: Ist der Bürgerkrieg vorbei, könnten sich diese und zusätzlich gelieferte Waffen gegen Amerika wenden, zumal Teile der Opposition an das Terrornetzwerk El Kaida und andere islamistische Gruppen angedockt sind. Beim Thema Flugverbotszone kriegen Experten im Pentagon schwitzige Hände. Sie wäre nur durch massive Bombardements der syrischen Luftabwehr durchzusetzen, heißt es. Und die gilt als die viertstärkste weltweit, ist zum Teil in dicht besiedelten Gebieten installiert, was beinahe zwangsläufig im Falle eines Angriffs zu hohen zivilen Opferzahlen führen könnte.

Was sagt Syrien selbst?

Das Regime streitet wie immer alle Vorwürfe ab und wiederholt eine alte Aussage: Nur wenn ausländische Kräfte in Syrien eingreifen würden, behalte man sich den Einsatz von Chemiewaffen vor.