Tel Aviv. .

Die Bewohner von Damaskus sind schon einiges an Krieg gewöhnt: Seit Wochen kämpfen Rebellen und Regierungstruppen rund um die syrische Hauptstadt, gehört das dumpfe Grollen von Granaten- und Bombeneinschlägen und das Knattern von Maschinenpistolen zur Geräuschkulisse vieler Stadtteile. Aber so etwas hatte man hier noch nicht erlebt. Nur wenige dürften in der Nacht zum Sonntag den israelischen Luftangriff verschlafen haben: „Alles war ruhig, und dann sahen wir plötzlich ein grelles orangenes Licht im Himmel, auf das eine gewaltige Explosion folgte“, erzählte Tarek Hillnawi dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera. „Es fühlte sich an, als brenne ganz Damaskus.“

Bewohner sagten aus, die Explosionen seien so heftig gewesen, dass sie sich wie ein Erdbeben anfühlten. Videos, die die Opposition innerhalb von Minuten ins Internet stellte, zeigten gewaltige Brände auf den Kassyun-Bergen, einem Vorort nordwestlich von Damaskus und Standort wichtiger militärischer Einrichtungen.

Das syrische Staatsfernsehen machte umgehend Israel für die Angriffe verantwortlich: Sie seien ein Versuch „die Moral der terroristischen Gruppen zu heben, die nach den Angriffen unserer noblen Armee ins Schwanken kam“, verkündete der regimetreue Sender Ichbariyah. Damaskus bezeichnet alle bewaffneten Oppositionsgruppen als „Terroristen“. Es war angeblich bereits der zweite Angriff innerhalb von 48 Stunden.

Schon in der Nacht zum Freitag sollen israelische Kampfflugzeuge vom Libanon aus Ziele in Syrien angegriffen haben, darunter auch Waffenlager auf einem der Flughäfen von Damaskus. Am Sonntag dann seien mindestens sechs verschiedene Bombardements durchgeführt worden, berichteten Quellen der Opposition. Ziel seien die Hauptquartiere der regimetreuen Brigaden 104 und 105 der gefürchteten vierten Division auf den Kassyun-Bergen gewesen. Sie werden von Maher Assad, dem Bruder des syrischen Präsidenten, kommandiert. Zudem sei eine Forschungseinrichtung des syrischen Militärs in Jamrayah angegriffen worden.

Sichtbare Herausforderung

Israelische Sprecher schwiegen zu den Ereignissen in Syrien. Doch es ist unwahrscheinlich, dass die Truppen Assads getroffen werden sollten. Israel gibt sich seit zwei Jahren größte Mühe, nicht in Syriens blutigen Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Die gewaltigen Explosionen und Brände stehen im Einklang mit Berichten von US-Medien. Danach galten die Angriffe Waffendepots, in denen Raketen vom Typ Fateh 110 zwischengelagert wurden. Angeblich sollen der Iran und Syrien vorgehabt haben, die Raketen an die libanesische Hisbollah-Miliz zu übergeben.

Die Hisbollah ist ein enger Verbündeter der Assads und Israels Erzfeind. Die Miliz verfügt angeblich bereits über mehr als 50 000 Raketen, dennoch wäre die Fateh 110 ein bedeutender Gewinn für sie: Die Fateh hat eine Reichweite von über 300 Kilometern und ist genauer als die Scud-Raketen, die Hisbollah bereits besitzt.

Israel betrachtet solche Raketen, wie auch chemische Kampfstoffe oder moderne Flugabwehrraketen, als strategische Waffen, die das Gleichgewicht der Abschreckung mit der Hisbollah stören könnten. Die Regierung von Premier Netanjahu drohte deswegen, jeden Transfer notfalls mit Gewalt aufzuhalten. Schon Ende Januar sollen israelische Kampfflugzeuge einen Waffenkonvoi zerstört haben. Damals reagierte Syrien nicht: „Vergeltung heißt nicht unbedingt, dass eine Rakete mit einer Rakete beantwortet wird. Wir müssen nicht öffentlich bekanntgeben, wie wir Vergeltung üben werden“, sagte Präsident Assad damals.

Doch nun könnte er sich zum Handeln gezwungen sehen, denn im Gegensatz zu vorherigen Angriffen war die Attacke auf Damaskus eine für alle sichtbare Herausforderung. Israel gab gestern bekannt, dass es zwei Raketenabwehrsysteme vom Typ Iron Dome im Norden des Landes stationierte.

Israels Angriff ereignet sich zu einem Zeitpunkt, an dem die Kämpfe in Syrien weiter eskalieren. In den vergangenen Wochen konnten regimetreue Truppen mehrere Erfolge verbuchen und die Rebellen von strategisch wichtigen Orten vertreiben.