Essen. Das Mammutverfahren wird nach der einstweiligen Anordnung aus Karlsruhe um 19 Tage aufgeschoben. Die Angehörigen der Opfer sind wütend wegen des neuen Termins. Und Richter Manfred Götzl steckt in einer misslichen Lage.
Manfred Götzl ist ein korrekter, sogar penibler Richter. Erst einmal in seiner Karriere ist ein Urteil des 59-jährigen Juristen vom Bundesgerichtshof kassiert worden. Dass das Bundesverfassungsgericht die Vergabe der Presseplätze in dem großen Prozess, den er jetzt gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) führen soll, am Freitag gekippt hat, dürfte ihn schwer getroffen haben.
Hat Götzl deshalb den Gang über die kleine Brücke, die Karlsruhe ihm baute, ausgeschlagen? Sein 6. Strafsenat wird nicht einfach nur drei Stühle dazustellen für „Vertreter ausländischer Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern“. Er hat das ganze Verfahren um 19 Tage nach hinten geschoben. Fünf Verhandlungstage sind nachzuholen. Neuer Start des Mammutprozesses um den Mord an zehn Menschen – acht Türken, ein Grieche und die deutsche Polizistin Michele Kiesewetter – wird der 6. Mai sein, 10 Uhr. Das Zulassungsverfahren für Journalisten wird völlig neu gestartet.
Viele Fragen, wenige Antworten
Götzl und seine vier Richterkollegen am Münchner Oberlandesgericht haben das Wochenende über den Ukas des Verfassungsgerichts beraten und gestern früh die Prozessverschiebung beschlossen. Der Vorsitzende schickte seine Pressesprecherin in den Kreis aufgewühlter Journalisten, die dann auf gefühlt zwei Dutzend Fragen meist Antworten bekamen wie „Ich weiß nicht“ oder „Dazu kann ich nichts sagen“. Allenfalls ließ sich Margarete Nötzel die Begründung entlocken, für den Prozessauftakt wie geplant an diesem Mittwoch bleibe bei der angeordneten Neuordnung der Akkreditierung die Zeit nicht.
Viele Fragen sind jetzt offen: Wie kann das Gericht sicherstellen, dass türkische Medien nicht erneut leer ausgehen? Gibt es doch noch eine Übertragung der Verhandlung in einen anderen, größeren Saal – ein immer wieder vorgetragener Vorschlag, den das Recht angeblich nicht zulässt? Tagt das Gericht vielleicht an einem anderen Ort mit mehr Platz? Auch: Wer bezahlt die Kosten, auf denen die bereits angereisten Nebenkläger jetzt erst einmal sitzenbleiben?
Die Wut der Angehörigen ist groß
In deren Kreisen ist die Wut ohnehin groß – nicht aus finanziellen Motiven. Sie fühlen sich unter enormem psychischen Druck. „Die Anspannung ist den letzten Tagen immer stärker gewachsen“, sagt Sebastian Scharner, der Anwalt der Familie des Mordopfers Mehmet Kubasik aus Dortmund. Er fühlt sich überdies schlecht informiert.
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Als „mehr als ärgerlich“ kritisieren auch die Nebenklagevertreter der Geschwister Kerim und Semiya Simsek den Aufschub. „Die Verschiebung des Prozessbeginns ist Ergebnis der seit Wochen starren Haltung des Gerichts, das sich jeder Kritik sperrte und konstruktiven Lösungsvorschlägen verweigerte“, glaubt Rechtsanwalt Jens Rabe. Kerim und Semiya Simsek sind die Kinder des im Jahr 2000 in Nürnberg getöteten Blumenhändlers Enver Simsek.
Zschäpe-Anwälte begrüßen Verschiebung
Nur die Anwälte der Hauptangeklagten Beate Zschäpe begrüßen die Vertagung. „Wir hätten sonst von uns aus die Verschiebung verlangt“, sagt ihr Anwalt Wolfgang Stahl.
Vielleicht hat Manfred Götzl die Komplikation geahnt. Vielleicht wollte er jedwedes Risiko eines Revisionsgrundes ausschließen. Und hat deshalb die Notbremse gezogen.