Augsburg. . Mit einer kämpferischen Parteitagsrede hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seine Partei trotz schlechter Umfragewerte hinter sich versammelt. „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“, rief er am Sonntag den 600 Delegierten in Augsburg zu und wurde dafür mit stehenden Ovationen gefeiert. 161 Tage bleiben noch für die Aufholjagd.
Einen Kandidaten hatte sie schon, gestern folgte das Programm. Es markiert den SPD-Start in den Wahlkampf. 161 Tage bleiben der Partei. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück glaubt: „Wenn wir mobilisieren, gewinnen wir.“ Hoffnung für die Bundestagswahl schöpft er aus den Erfolgen in den Ländern, zuletzt in Niedersachsen. Auf einem Sonderparteitag gestern in Augsburg feierten die 600 Delegierten ihn, sich selbst und ihr neues Wir-Gefühl. „Mehr Wir – weniger Ich“, versprach er. Buchstäblich. Die Steinbrück-SPD: eine Momentaufnahme.
Politik „von unten“
Die SPD will nach den Worten von Parteichef Sigmar Gabriel Politik machen „aus dem Alltag der Menschen heraus“. Konkret heißt das: Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, Solidarrente von monatlich 850 Euro. Und wer 45 Jahre in die Rentenkasse einzahlt, soll mit 63 abschlagsfrei in den Ruhestand gehen dürfen. Die SPD will Mietsteigerungen auf zehn Prozent begrenzen. Frauen sollen für die gleiche Arbeit den gleiche Lohn erhalten. Das Betreuungsgeld würde eine SPD-Regierung streichen. Der Spitzensteuersatz soll von 42 auf 49 Prozent (für 100 000 Euro Einkommen) steigen.
Außerdem: „Wer in Deutschland geboren ist, soll auch Deutscher sein, ohne sich gegen die Herkunft seiner Familie entscheiden zu müssen“, so Steinbrück. Bisher müssen sich Betroffene spätestens mit 23 Jahren für eine Nationalität entscheiden. Das sind nur einige Beispiele aus dem Programm, und die SPD ist zufrieden, gerade auch der linke Flügel.
Solidarität mit Steinbrück
„Lieber Peer, bleib so wie Du bist“, rief Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier aus. In der Öffentlichkeit gilt Steinbrück als Eigentorjäger. Die SPD aber sieht ihm nach, dass er sich regelmäßig um Kopf und Kragen redet. Er selbst verkneift sich inzwischen manche spontane Pointe. „Irgendetwas läuft da differenzierter ab, hier oben“, sagte er und zeigte auf seinen Kopf. „Peer habe ich Dich schon mal gelobt, nein, dann mache ich das jetzt“, sagte die Wortführerin der Linken, Hilde Matheis. Die SPD nimmt ihn so, wie er ist.
Die Grünen, wer sonst?
Der Machtwechsel ist nur mit den Grünen denkbar. Deren Parteivorsitzende Claudia Roth war in Augsburg von Kopf bis Fuß auf Rot-Grün eingestellt, rote Bluse, grüne Halskette. Roth durfte in Augsburg zu den 600 SPD-Delegierten sprechen. „Ja für Rot-Grün und nichts anderes“, versprach Gabriel. Und doch hat gerade er den Verdacht, dass die Grünen beliebig geworden sind und – Hauptsache, regieren – auch mit der Union koalieren würden.
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Gegen „Angela Mimikry“
Die Sorge der SPD ist, dass ihr Gerechtigkeitswahlkampf nicht zündet und stattdessen die Euro-Krise den Ausschlag gibt. Mit Fundamentalkritik an Angela Merkels Krisenmanagement tut sich die SPD schwer, ebenso mit Frontalangriffen. Gabriel wirft ihr vor, sich chamäleongleich der SPD anzupassen – zum Beispiel mit der Forderung nach einem Mindestlohn. Gabriel nennt die Kanzlerin „Angela Mimikry“.
Buhlen um die Frauen
Im direkten Vergleich mit Merkel schneidet Steinbrück bei den Frauen schlechter ab. Mit einer 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte und Vorstände großer Unternehmen will die SPD die Karriere-Hürden für Frauen abbauen. Steinbrücks erklärtes Ziel ist es, mehr für Frauen zu tun „als die Frau Bundeskanzlerin und ihre Familienministerin“. In Berlin wird mit Spannung erwartet, welche Frauen Steinbrück in sein Team berufen wird. Er braucht Hilfe.
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Flucht nach vorn
Die Sozialdemokraten hadern mit den Medien und würden gern eine Debatte über die Frage lostreten, was wichtig und was unwichtig ist. Viel Häme gab es zum Beispiel, weil die SPD übersah, dass ihr Motto – „das WIR entscheidet“ – schon von einer Leiharbeit-Firma reklamiert wird. „Ist das die zentrale Frage?“, fragte Steinbrück verwundert. Im Wahlkampf sucht die SPD lieber den direkten Dialog mit den Bürgern. Wo setzt Gabriel an? Beim „Klingelknopf an der Haustür. Mehr technische Hilfsmittel brauchen wir nicht.“