Tel Aviv. . In Israel gibt es Lob für die deutschen Fahnder, aber auch kritische Stimmen, die die Suche nach KZ-Aufsehern nur als PR-Aktion Deutschlands werten. Ein Holocaust-Überlebender sagt: „Man hätte viel früher anklagen können“.
„Wir begrüßen jede Handlung, die letztlich die Verbrecher der Justiz zuführt“, kommentierte Uri Arasi, Sprecher des Zentrums für Holocaust-Überlebende. „Endlich gute Nachrichten aus Deutschland!“, schrieb der Direktor des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, der als der „letzte Nazi-Jäger“ gilt, im Internet auf seiner Facebook-Seite.
„Es wurde wirklich langsam Zeit. Ich glaube, ich freue mich ein wenig darüber“, sagt auch der Holocaust-Überlebende Uri Hanoch dieser Zeitung. Für den 85 Jahre alten Israeli haben diese Ermittlungen eine persönliche Bedeutung: Als Jugendlicher überlebte er nur knapp das Konzentrationslager Dachau. Dabei gehe es ihm nicht um Vergeltung, sagt Hanoch: „Rachegelüste habe ich längst nicht mehr. Es geht darum, dass man einen konkreten Fall hat. Wenn es Namen gibt, gibt es persönliche Schicksale. Es geht um Bildung und Erziehung, damit die Schoa auch in Zukunft nicht geleugnet werden kann“, sagt Hanoch.
Mehr antisemitische Übergriffe
Erziehung zum Thema Antisemitismus und Holocaust scheint auch 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch dringend nötig zu sein. Laut einer neuen Studie der Universität Tel Aviv hat die Zahl antisemitischer Übergriffe im Jahr 2012 um rund 30 Prozent zugenommen: Insgesamt 686 Mal wurden Juden oder jüdische Einrichtungen zu Opfern von Hass. Mehr als 100 Synagogen, 59 Gemeindezentren und 89 Friedhöfe wurden im Laufe des Jahres angegriffen. An der Spitze der Liste steht Frankreich mit 200 Zwischenfällen.
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Doch es gebe auch einen positiven Trend: Die Zahl von Naziverbrechern, die weltweit verurteilt wurden, habe zwischen April 2011 und März 2012 erheblich zugenommen, berichtete das Wiesenthal-Zentrum. Zehn Naziverbrecher seien in Italien und Deutschland schuldig gesprochen worden – fünfmal mehr als im Jahr zuvor. In insgesamt 1138 Fällen werde weiterhin ermittelt, die Mehrheit der Ermittlungen, nämlich 528, liefen in Deutschland. Die jüngste Nachricht aus Deutschland passe in dieses Bild: „Wir begrüßen vor allem den moralischen, symbolischen und pädagogischen Wert solcher Ermittlungen“, sagte auch die Sprecherin der Holocaustgedenkstätte Estee Yaari dieser Zeitung: „Selbst wenn wir den Opfern nicht versprechen können, dass volle Gerechtigkeit geübt wird.“
Das liegt daran, dass viele der Täter tot sind oder aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr vor Gericht gestellt werden können: „Das ist der Wermutstropfen dabei“, so Hanoch, der Dachau-Überlebende: „Man hätte die Täter viel früher anklagen sollen und können. Es ist einfach zu spät.“
„Zumindest tun sie etwas“
So fragten viele Kommentare in Israels Radios und Zeitungen, ob die Ermittlungen nicht bloß Öffentlichkeitsarbeit seien, die Deutschlands Image in der Welt anheben sollten. Hanoch war anderer Meinung: „Zumindest tun die Deutschen etwas.“
„Besser spät als nie“, schrieb auch Nazi-Jäger Zuroff. „Soll jeder einzelne von ihnen jetzt wenigstens anfangen zu schwitzen, aber hoffentlich kommt es für sie noch schlimmer!“
Ermittlungen ausgeweitet
Die Ermittlungen gegen noch lebende Aufseher der KZ-Wachmannschaften werden sich nicht nur auf 50 Tatverdächtige des Lagers Auschwitz-Birkenau erstrecken. Sie sollen auf vier weitere Vernichtungslager ausgedehnt werden, sagte der Leiter der Zentralen Stelle für die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, in der ARD.
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Politiker von Regierung und Opposition in Berlin begrüßten die Ermittlungen. „Es ist gut, die Ermittlungen gegen mögliche Beteiligte an den Vernichtungs- und Gewalttaten der Nazis nicht einfach schleifen zu lassen“, erklärte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. „Es kommt leider sehr spät, aber nicht zu spät, um für Aufklärung und, wo eine Schuld festgestellt wird, auch für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Fahnder leisten einen wichtigen Beitrag gegen Verdrängung und Vergessen.“
Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, erklärte: „So lange die Täter von damals unter uns sind, so lange müssen sie strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Auch fast 70 Jahre nach Kriegsende bleibt es unsere Verantwortung, die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis wachzuhalten und die Täter zu verfolgen.“
Ähnlich äußerte sich Unions-Fraktionsvize Günter Krings: „Die Aufseher waren Teil der Mordmaschinerie der Konzentrationslager. Es sei „bedauerlich, dass erst jetzt gegen die Mordhelfer ermittelt werden kann, weil das Alter der Personen in vielen Fällen keinen ordnungsgemäßen Strafprozess mehr zulassen dürfte“.