München. Der Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist tot. Ein Sprecher der Polizeidirektion Oberbayern Süd in Rosenheim bestätigte der Nachrichtenagentur dapd am Samstag entsprechende Informationen des Bayerischen Rundfunks.
Am Ende seines langen Lebens profitierte John Demjanjuk von der Gnade der Justiz - von Gnade, wie er sie in jungen Jahren anderen Menschen in höchster Not verwehrte. Der gebürtige Ukrainer, in dessen Biographie sich die grausamen Irrungen des 20. Jahrhunderts widerspiegeln, war bereits 91 Jahre alt, als ihn ein Münchner Gericht im Mai 2011 zu fünf Jahren Haft verurteilte. Demjanjuk sei ein Kriegsverbrecher, schuldig der Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor, befand das Gericht - und ließ ihn wegen seines hohen Alters auf freien Fuß.
So kam es, dass der frühere KZ-Wärter seine letzten Lebensmonate in einem Pflegeheim im oberbayerischen Kurort Bad Feilnbach am Fuß des Wendelstein-Massivs verbringen durfte. Dort ist er am Samstag gestorben. "Eine Welt ohne Demjanjuk ist besser als eine Welt mit Demjanjuk", kommentierte der französische Nazi-Jäger Serge Klarsfeld in Berlin die Todesnachricht.
Ein alter Mann im Rollstuhl, die Augen geschlossen - und kein Wort des Bedauerns
Mit Demjanjuks Verurteilung war einer der mutmaßlich letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland zu Ende gegangen. Demjanjuk hatte das Verfahren teilnahmslos über sich ergehen lassen: Ein alter Mann im Rollstuhl, die Augen geschlossen - und kein Wort des Bedauerns.
Der Prozess galt als historisch, weil mit Demjanjuk erstmals ein als KZ-Wärter von der SS zwangsverpflichteter Osteuropäer - ein sogenannter Trawniki - vor ein deutsches Gericht gestellt worden war. Demjanjuk war laut Urteil 1943 ein halbes Jahr in Sobibor an der massenhaften Judenvernichtung beteiligt. "Der Angeklagte war Teil dieser Vernichtungsmaschinerie", urteilte das Gericht. Jeder Trawniki habe gewusst, "dass er Teil eines eingespielten Apparates war".
Demjanjuk wurde am 3. April 1920 in der Ukraine geboren - damals war sein Name noch Iwan. Er diente in der sowjetischen Armee, als die Nazis ihn im Frühjahr 1942 gefangennahmen. Sie sollen ihn nach der Festnahme als Hilfskraft in das Konzentrationslager Treblinka im besetzten Polen geschickt haben. In den Gaskammern von Treblinka wurden 1942 und 1943 etwa 800.000 Juden und Tausende von Sinti und Roma umgebracht.
"Iwan der Schreckliche"
Ende der 70er Jahre erkannten ehemalige KZ-Insassen in Demjanjuk "Iwan den Schrecklichen": der berüchtigte SS-Mann, der in Treblinka ihren Aussagen zufolge die Gaskammern bediente. Demjanjuk lebte zu dieser Zeit bereits in die USA. Dorthin war er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs ausgewandert. Seinen Vornamen hatte er von Iwan in John geändert. 1952 ließ er sich mit seiner Familie als Automechaniker in Cleveland nieder. 1958 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft.
1981 entzogen die Behörden Demjanjuk die US-Staatsbürgerschaft aufgrund der Vorwürfe zum KZ Treblinka. Einem von Israel 1983 gestellten Auslieferungsgesuch wurde 1986 entsprochen. Das Jerusalemer Bezirksgericht verurteilte Demjanjuk 1988 wegen in Treblinka verübter "Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen das jüdische Volk" zum Tode.
Nach sieben Jahren Haft wurde Demjanjuk von Israels Oberstem Gerichtshof aber freigesprochen, weil letzte Zweifel an seiner Identität nicht ausgeräumt werden konnten. Die israelischen Richter stellten allerdings fest, dass Demjanjuk KZ-Wächter war. Hauptbeweis dafür ist ein Personalausweis mit Demjanjuks Foto und seiner Unterschrift, das 1942 im ukrainischen SS-Trainingslager Trawniki ausgestellt wurde. Demjanjuk war Aufseher in den Lagern Sobibor und Majdanek im besetzten Polen sowie Flossenbürg in Bayern.
Demjanjuk durfte 1993 wieder in die USA zurück. 2002 wurde ihm wegen seiner zweifelfrei feststehenden Zeit als KZ-Wächter zum zweiten Mal die US-Staatsbürgerschaft entzogen. Danach lebte er als Staatenloser in den USA, alle seine Rechtsmittel gegen diese Entscheidung und eine drohende Abschiebung nach Deutschland blieben erfolglos: Im Mai 2009 wurde er nach München gebracht. (dapd/afp)