München. Der NSU-Mordprozess sorgt schon vor seinem Beginn für Wirbel. Es gibt acht türkische Opfer, aber keinen festen Platz für türkische Medien. Jetzt kritisiert auch die Bundesregierung den mangelhaften Zugang türkischer Journalisten zum Prozess.

Es könnte doch so einfach sein: Ein zweiter Saal, in den die Verhandlung für die Medien übertragen wird - schon wäre der Streit um die Platzvergabe für Medien beim NSU-Terrorprozess vom Tisch. Geht rechtlich nicht, sagt das Oberlandesgericht (OLG) München. Es steht nicht wirklich etwas dagegen, meinen jedoch andere. Das OLG und der Senat, der über Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) zu Gericht sitzen soll, kommt schon vor Prozessbeginn massiv unter Druck. Dem NSU werden zehn Morde angelastet, acht der Opfer waren türkischer Abstammung.

Dass bei dem Akkreditierungsverfahren nach zeitlichem Eingang türkische Medien keinen der 50 reservierten Plätze im Gerichtssaal bekamen, sorgt daher für einen Sturm der Empörung. Die türkische Presse werde ausgeschlossen, heißt es gelegentlich schon. Auch wenn türkische Medien durchaus in den Saal können - wenn Plätze frei sind.

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Auch die Bundesregierung kritisiert den mangelhaften Zugang türkischer Journalisten zum Prozess. Das Verfahren interessiere die türkische Öffentlichkeit und Menschen türkischer Abstammung in Deutschland sehr, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, am Mittwoch in Berlin. Daher wäre es schön, wenn die Möglichkeit bestünde, "dass Vertreter der Medien darüber angemessen berichten können". Wie dies geschehen könne, sei Sache der Justiz.

Journalisten bieten an, Plätze mit türkischen Kollegen zu tauschen

Regierungssprecher Steffen Seibert appellierte ebenfalls indirekt an die Justiz, auch türkische Medien zu dem Prozess zuzulassen. "Wir haben großes Verständnis in der Bundesregierung, dass es in der Türkei ein so großes Medieninteresse gibt, schließlich stammten die meisten der Opfer dieser schrecklichen Mordserie aus der Türkei", sagte er. "Und die Hoffnung muss sein, dass mit diesem Medieninteresse auch sensibel umgegangen wird."

Die Staatsministerin im Kanzleramt, Maria Böhmer, appellierte dringend an das Münchner Oberlandesgericht, seine Akkreditierungspraxis zu überdenken. "In diesem Fall schaut die ganze Welt auf Deutschland", erklärte Böhmer, die für Migration und Integration zuständig ist. Für den Zusammenhalt des Landes sei es von zentraler Bedeutung, das verlorengegangene Vertrauen wieder zu stärken. "Aus Respekt vor den Opfern und den Angehörigen der Mordserie und um Vertrauen wieder zurückzugewinnen, halte ich es für unverzichtbar, dass türkische und griechische Medienvertreter bei der Platzvergabe für den NSU-Prozess berücksichtigt werden", betonte Böhmer.

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Einige Medien boten an, türkischen Kollegen ihren Platz zu überlassen. Doch das Gericht sagt kategorisch Nein. "Wir können nicht im Nachhinein die Akkreditierungs-Bedingungen ändern", sagt Sprecherin Margarete Nötzel.

Achmed Külahci, Chefkorrespondent der "Hürriyet", kommentierte im BR, von deutschen Kollegen habe er "mehr Solidarität bekommen als von den deutschen Justizbehörden".

"Übertragung in anderen Saal rechtlich nicht möglich" 

Die Frage nach einem zweiten Saal, in den der Prozess übertragen werden könnte, hat das Gericht eigentlich abgehakt. OLG-Präsident Karl Huber sagte vor fast zwei Monaten: "Eine Übertragung der Verhandlung in einen anderen Saal ist rechtlich nach deutschem Verfahrensrecht nicht möglich." Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz sind im Gerichtssaal "Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts" unzulässig. Die Geschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen und Journalisten Union, Cornelia Haß, argumentiert aber, eine Übertragung für akkreditierte Journalisten sei keine öffentliche Vorführung.

Die NSU-Mordserie

Die Bundesanwaltschaft legt dem NSU die Ermordung von acht türkischen und einem griechischen Einwanderer sowie den Mord an einer deutschen Polizistin zur Last. Die Taten ereigneten sich zwischen 2000 und 2007.

Außerdem soll die Neonazi-Zelle zwei Bombenanschläge in Köln in den Jahren 2001 und 2004 verübt haben. Zschäpes mutmaßliche Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich im November 2011 erschossen, als sie nach einem Bankraub kurz vor der Festnahme standen. Der rechtsextremistische Hintergrund der Mordserie kam erst danach ans Licht.

Der Fall schockierte Politik wie Gesellschaft und stellte die Arbeit der Sicherheitsbehörden wegen zahlreicher Ermittlungspannen grundsätzlich infrage. Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern prüfen seither, wie es dazu kommen konnte.

Ähnlich sieht das Nebenklage-Anwältin Angelika Lex. "Ich verstehe die Angst des Senats, einen Revisionsgrund zu schaffen. Aber rechtlich sehe ich es nicht als problematisch an", sagt sie. "Es gibt keine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob eine Übertragung außerhalb des Gerichtssaales möglich ist."

Kritik: Der Saal sei zu klein

Die "Süddeutsche Zeitung" erinnert am Mittwoch an den ersten Auschwitz-Prozess, von dem es einen Tonbandmitschnitt gebe. Der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Werner Leitner, habe sich in seiner Dissertation "Videotechnik im Strafverfahren" damit befasst - und wundere sich, wie "störrisch" sich die Justiz im NSU-Verfahren der Technik verweigere.

RechtsextremismusSchon seit Wochen hagelt es Kritik am Gericht. Der Saal A 101 sei zu klein, hieß es. Einen Aufschrei gab es auch, als der Senat sich weigerte, einen festen Platz für den türkischen Botschafter zu reservieren. Bekäme freilich der Botschafter einen Platz, könnten andere das auch fordern. Aber nur knapp die Hälfte der gut 100 Plätze für die Öffentlichkeit darf reserviert werden. Weitere 120 Plätze müssen für die 71 Nebenkläger und ihre 49 Anwälte frei bleiben.

Richterliche Unabhängigkeit

OLG-Präsident Huber hat sich stets vor den Vorsitzenden des Senats, Manfred Götzl, gestellt, der über Platzvergabe und Akkreditierung entscheidet. Diese Entscheidungsfreiheit ist ein fester Bestandteil der für den Rechtsstaat so wesentlichen richterlichen Unabhängigkeit.

Fraglich ist, wie der Prozess am 17. April nun unbelastet beginnen soll. Dabei wäre ein guter Start nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie so wichtig. "Weltweit hat das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Morde für Schlagzeilen gesorgt", sagt Grünen-Chef Cem Özdemir. Umso wichtiger sei nun internationale Transparenz.

Immer lauter wird die Forderung: Das Gericht muss eine Lösung finden. "Sonst entsteht der Eindruck, dass mit dem Thema sehr unsensibel umgegangen wird", sagt Lex. Die Wahl des Saales A 101 ist für Nebenklage-Anwältin Lex aber nachvollziehbar. Ein solches Verfahren brauche Logistik, die es etwa in einer Messehalle nicht gebe. "Ich muss gestehen, dass mir trotz intensiven Überlegens kein anderer Saal eingefallen ist." (dpa/rtr)