Dortmund. . Die Kontakte der NSU-Gruppe ins Ruhrgebiet waren deutlich enger als bisher vermutet. Ein V-Mann berichtete der Dortmunder Polizei vom Treffen zwischen Ex-V-Mann Toni S. mit dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos nahe des Tatorts, an dem wenig später Kioskbesitzer Mehmet Kubasik ermordert wurde.

Die rechtsradikale Terrorzelle NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) hatte nach Recherchen der WAZ-Mediengruppe mehr Kontakte nach Dortmund als bislang bekannt. So hielt sich der Sprengstofflieferant des NSU und zeitweilige Liebhaber der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe, Thomas S., Ende der 90er-Jahre regelmäßig in Dortmund auf, wie aus Verbindungsdaten seines damaligen Handys hervorgeht. Zudem wird er in internen Papieren der Dortmunder Nazi-Szene damals als Kontaktmann im Osten aufgeführt.

Weiter siedelte sich im Jahr 2003 Toni S. in Dortmund an. Der vorbestrafte Skinhead aus Brandenburg gehörte wie Thomas S. zum Umfeld der inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation Blood & Honour.

Das besondere daran: Sowohl Thomas S. als auch Toni S. hatten einen direkten Draht zum Verfassungsschutz. Thomas S. war nach der Wende zehn Jahre lang V-Mann des Landeskriminalamts Berlin. Toni S. spitzelte bis 2002 für den Verfassungsschutz Brandenburg.

V-Mann „Heidi“ beobachtet NSU

Und: Toni S. soll im April 2006, wenige Tage vor dem Mord am Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik, zusammen mit dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos an der Dortmunder Mallinckrodtstraße gesehen worden sein, wenige hundert Meter vom späteren Tatort entfernt. Das berichtet zumindest ein V-Mann der Dortmunder Polizei mit dem Decknamen „Heidi“.

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Wie aus schriftlichen Vernehmungen von „Heidi“ hervorgeht, hatte sich der V-Mann erstmals im September 2005 mit Toni S. in Dortmund getroffen. Im März 2006 berichtete dann „Heidi“ seinem Dortmunder V-Mann-Führer, dass Toni S. versuche, scharfe tschechische Waffen in Dortmund zu verkaufen. Eine anschließend geplante Ermittlung gegen Toni S. wegen illegaler Waffendeals verlief allerdings im Sande. Die Dortmunder Polizei verlor Toni S. aus den Augen.

Erst im November 2011, nachdem die Terrorzelle NSU aufgeflogen war, meldete sich V-Mann „Heidi“ erneut bei der Dortmunder Polizei. Diesmal sagte er aus, Toni S. habe sich am 1. April 2006 mit dem NSU-Mann Uwe Mundlos in Dortmund getroffen. Drei Tage später wurde Kubasik in seinem Kiosk erschossen.

Toni S. hat eine bewegte Vergangenheit in der rechten Szene. Anfang der 2000er-Jahre gehörte er zu den umtriebigsten Händlern von verbotener rechtsradikaler Musik. Er war an der Produktion illegaler CDs der Band „Landser“ beteiligt und engagierte sich für die Platte „Noten des Hasses“ der White Aryan Rebels. Gleichzeitig spionierte Toni S. für den brandenburgischen Verfassungsschutz und verkaufte in dessen Auftrag die nationalsozialistischen Tonträger.

Kontakte in Cottbus

Aus den Spitzelberichten geht hervor, dass sich Toni S. damals regelmäßig in Cottbus aufhielt, wo auch Unterstützer des NSU verkehrten. Nach Einschätzung aus Sicherheitskreisen könnte Toni S. hier auch Mitglieder der Terrorzelle NSU kennengelernt haben. Dass Toni S. im Jahr 2002 als V-Mann des Verfassungsschutzes aufflog, muss kein Hindernis für seine Bekanntschaft mit Mundlos sein. In der Szene hätten V-Leute oft die Seiten gewechselt, sagt ein mit der Sache vertrauter Verfassungsschützer.

V-Mann „Heidi“ sagte jedenfalls vor der Polizei aus, er habe gesehen, dass Toni S. und NSU-Mann Mundlos am 1. April 2006 in der Nähe des Dortmunder Hauptbahnhofes zusammengekommen seien. „Heidi“ sagte, er könne sich an die „markante Gesichtszüge“ von Mundlos erinnern. Zu den genauen Umständen des Treffens wollte sich der V-Mann nicht äußern, da rechte Gewalttäter dann Rückschlüsse auf seine Identität ziehen könnten.

Demonstration angegriffen

Das Datum ist brisant: am 1. April 2006 hatten Nazis in Dortmund eine Demonstration angegriffen, die an den ermordeten Punker Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“, erinnern sollte.

V-Mann „Heidi“ sagte, er habe sich erst im Jahr 2011 an das Treffen von Toni S. und Mundlos erinnert, da er 2006 keinen eventuellen Zusammenhang vom Treffen zum Mord an Kubasik gesehen habe.

Die Polizei Dortmund beantragte weitere Ermittlungen, um mögliche Kontakten des früheren V-Mannes Toni S. zur Terrorzelle NSU zu prüfen. Dies unterband jedoch die Generalbundesanwaltschaft.

Wenige Monate später schreibt dann die Dortmunder Polizei in einem Vermerk, V-Mann „Heidi“ sei abgeschaltet worden. Er habe versucht, „Unterstützung für eine staatlich finanzierte Unterbringung seines künftigen Aufenthaltes“ zu bekommen. Zudem habe der V-Mann damit gedroht, mit der Presse zu sprechen.