Den Haag. . Wie das Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen in Den Haag seine Glaubwürdigkeit verspielt. Drei Freisprüche in der jüngsten Vergangenheit lassen die Frage aufkommen, ob das Gericht politische Urteile gesprochen hat.

Erst ein Kriegsverbrecher, dann doch nicht? Nach zwei umstrittenen Freisprüchen innerhalb weniger Monate hat das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vor wenigen Tagen auch den ehemaligen Armee-Chef Jugoslawiens, Momčilo Perišić, freigesprochen. Immerhin sollte der serbische Generalstabschef der damaligen „Jugoslawischen Volksarmee“ nach erster Instanz 2011 noch für 27 Jahre hinter Gitter. Längst wird international über „politische Urteile“ gesprochen. Nicht nur deshalb, hat das Gericht international eine Menge Vertrauen verloren – insbesondere in den ehemaligen Kriegsgebieten. Hat es überhaupt noch eine Berechtigung?

„Das UN-Tribunal sollte vor allem zur Versöhnung auf dem Balkan beitragen. Das hat es nicht getan – auch wegen solcher Urteile“, sagt Dušan Reljić, Balkan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Damit sind vor allem die jüngsten Richtersprüche gemeint, die an den Balkankriegen beteiligte führende Militärs wieder auf freien Fuß gesetzt hatten. Momčilo Perišić soll an der Belagerung Sarajevos von 1992-1995, an dem Völkermord an Bosniaken in Srebrenica und an dem Granatenbeschuss von Zagreb beteiligt gewesen sein. Aus Mangel an eindeutigen Beweisen für eine direkte Verantwortung ist er im Berufungsverfahren freigesprochen worden.

Anklage auf „zu schwachen Füßen“

Im November vergangenen Jahres wurden der ehemalige kroatische General Ante Gotovina und der Vize-Innenminister Mladen Markač freigesprochen. Ex-General Gotovina war Befehlshaber der „Operation Sturm“ gewesen, bei der kroatische Armee-Einheiten 1995 die von Serben kontrollierte Region Krajina eroberten. Dabei soll es zu Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung gekommen sein. Speziell stand der Vorwurf im Raum, an der Planung und Ausführung der Vertreibung von Serben aus der Kraijna sowie am willkürlichen Artilleriebeschuss von Städten und Dörfern der Region beteiligt gewesen zu sein. In erster Instanz waren beide deswegen auch zu 24 und 18 Jahren Haft verurteilt worden. Nach der Berufungsverhandlung kam dann der Freispruch.

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Kai Ambos, Völkerrechtler an der Universität Göttingen, verteidigte die Kroaten vor dem Tribunal. „Ein absichtlicher Beschuss der Städte beziehungsweise im Fall von Perišić die Unterstützung der bosnischen Serben konnte nicht zweifellos bewiesen werden“, sagte er dieser Zeitung. Aus seiner Sicht sei die Anklage zu anspruchsvoll gewesen und habe auf zu schwachen Füßen gestanden. Allenfalls sei im Falle von Gotovina und Markač eine Verurteilung möglich gewesen, weil sie ihre Untergebenen nicht von Straftaten abgehalten hätten. Doch dies hätte höchstens eine Strafe von sieben bis acht Jahren ergeben – die sie in der Untersuchungshaft ohnehin schon abgesessen hätten.

Wichtige Dokumentation der Verbrechen

Ein wenig anders gelagert ist der Freispruch für den kosovo-albanischen Freischärlerführer Ramush Haradinaj. Als Kommandant der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) soll er an Folter, Mord und Vertreibung von serbischen Zivilisten im Kosovo beteiligt gewesen sein. Nach seinem ersten Freispruch 2008 legte die Anklage Berufung ein. Ende November 2012 folgte der zweite. „Es gab keine überzeugenden Belastungszeugen“, erläuterte Kai Ambos. Nach dem Freispruch für die kroatischen Angeklagten Gotovina und Markač der nächste Schlag für die Serben. „Damit gibt es keine Urteile gegen hohe Militärs für Verbrechen an Serben, die zweifellos geschehen sind. Das hat die Menschen in Serbien wütend gemacht“, sagt Dušan Reljić.

Nicht wenige Beobachter der UN-Tribunale vermuten hinter dem Freispruch für Perišić deshalb eine „Fortsetzung der politischen Urteile“. Gotovina und Markač sollen freigekommen sein, um den Beitritt Kroatiens zur EU im Sommer 2013 nicht zu erschweren, Haradinaj, weil er als UCK-Kämpfer im Prinzip auf Seiten der Nato gegen Serbien gekämpft hatte, Perišić, um die Serben wegen der ersten Urteile zu besänftigen. Doch dort ist die Akzeptanz des Haager Tribunals ohnehin gering. „Es wird dort nur in sofern ernst genommen, dass man mit ihm kooperieren muss, um in die EU zu kommen“, sagt Kai Ambos. Hat es also überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?

Ja, sagt Dušan Reljić. „Ohne Den Haag wären die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien niemals objektiv dokumentiert worden. Dies hätte keine Justizbehörde der beteiligten Länder getan.“ Somit könne niemals geleugnet werden, was in Sarajevo, Srebrenica und anderen Orten passiert sei.