Berlin. . Vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind und bislang zwei Pässe hatten, droht die Ausbürgerung. Spätestens mit 23 Jahren müssen sie entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie haben wollen. Deutsche und Türken können sie nur befristet sein. Das wollen die Opposition wie auch die FDP ändern.

In der Union sind sie baff. „Mir ist nicht so ganz klar, was da Pate stand“, erzählt uns der CDU-Innenpolitiker Günter Krings. „Geht es allein um die Sache oder mehr um Parteiprofil und Popularität?“ Die Frage kann nur Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beantworten. Die FDP-Justizministerin plädierte für eine Reform des Staatsbürgerrechts. Sie würde doppelte Staatsbürgerschaften erlauben, in vielen Fällen sei dies eine Förderung der Integration. Damit durchbricht die Liberale die bisherige Linie der Bundesregierung.

Bis 23 kann man beides sein

Der Grund für die Debatte ist die letzte Reform aus dem Jahr 1999. Damals hatten sich die Parteien auf eine Optionsregelung verständigt. Die trat 2000 in Kraft und besagt, dass Einwandererkinder mit der Geburt in Deutschland Deutsche werden. Zwei Pässe werden toleriert, freilich unter einer Bedingung: Wenn die Eltern nicht EU-Bürger sind, sollen sich die Kinder entscheiden, sobald sie volljährig sind – spätestens aber mit 23 Jahren.

Danach kann man nicht mehr beides sein: Deutscher und Türke. Faktisch ist das Gesetz vor allem für Kinder aus türkischen Familien relevant. Sie sind mit Abstand die größte Gruppe, und die Türkei ist kein EU-Mitglied.

Die ersten jungen Leute wurden ausgebürgert

Da die Regelung teils rückwirkend in Kraft trat, werden in diesem Jahr die ersten Betroffenen 23 Jahre alt. Und wer sich nicht entschieden hat, wird ausgebürgert. Im Januar wurde es schon in 16 Fällen vollstreckt. Eine Frau aus Darmstadt hatte gerade die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft beantragt. Bevor die dortigen Behörden sich meldeten, war das Regierungspräsidium schneller. Die Behörde erkannte ihr den deutschen Pass ab.

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Solche Fälle wird es künftig häufiger geben. Bei 756 Betroffenen steht eine Erklärung aus. 2013 werden 3300 junge Leute das Optionsverfahren durchlaufen, im Folgejahr 7000 und 2018 steigt die Zahl jährlich auf über 40 000 an.

Ungleichbehandlung

Die Opposition ist schon lange unzufrieden mit der deutschen Regelung. Am Montag reihte sich Markus Löning unter den Kritikern ein. Es sind nicht nur die Härtefälle, die ihn stören, sondern die Ungleichbehandlung: „Für Kinder binationaler Ehen, für Menschen aus der EU oder für Spätaussiedler ist in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft ohne Weiteres möglich.“ Löning ist der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung und weithin unbekannt. Die Reaktion auf das Plädoyer des FDP-Mannes fiel eher bescheiden aus.

Falls aber noch Zweifel darüber bestanden, dass er für seine Partei sprach, haben sie sich spätestens gestern erledigt – mit Leutheusser-Schnarrenberger. Sie hat Einfluss und will ihre Forderung im Wahlprogramm verankern, Generalsekretär Patrick Döring erwartet eine „spannende Debatte“.

Zankapfel im Wahlkampf

Ein Reizthema war es oft. Nun wird der Doppel-Pass im Wahljahr zum Zankapfel der Parteien, vor allem zwischen Union und FDP. Es ist auch eine beachtliche Wählergruppe, die da heranwächst. Der SPD-Politiker Michael Hartmann höhnt: „Schön, dass die verzweifelt ums Überleben kämpfende FDP plötzlich ihre Liebe zur doppelten Staatsbürgerschaft entdeckt.“

„Das Optionsmodell ist bis heute vernünftig“, beharrt der CDU-Politiker Krings. Man sollte jetzt erst mal Erfahrungen sammeln. Sie seien „überwiegend ermutigend“.

Die meisten wollen Deutsche bleiben

Von 106.897 Menschen, die 2011 eingebürgert wurden, konnten 50,4 Prozent ihren alten Pass behalten – es waren vor allem EU-Bürger und Schweizer. Auch viele Marokkaner und Iraner sind darunter – denn ihre Heimatländer weigern sich, ihre Bürger aus der Staatsbürgerschaft zu entlassen.

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Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat es vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erforschen lassen. Das Ministerium zog auf Anfrage der WAZ-Mediengruppe eine vorläufige Bilanz: Erstens zeige sich eine „klare Tendenz“ für die deutsche Staatsangehörigkeit. Weniger als zwei Prozent entschieden sich anders.

Zweitens gaben auf Anfrage nur 5,6 Prozent der Betroffenen an, dass sie verunsichert seien. Allerdings hätten viele Optionspflichtige „erhebliche Wissenslücken“. Sie reagieren oft nicht auf Anschreiben der Behörden und wundern sich nun, wie schnell sie ausgebürgert werden können.