Dortmund. . Die NRW-Regierung startet eine Einbürgerungsoffensive. Hintergrund ist die Halbierung der Einbürgerungszahlen in den vergangenen elf Jahren. Der Fall des Dortmunders Ahmed Karaman* zeigt einen möglichen Grund auf, warum die Zahlen so niedrig sind. Seine Einbürgerung hat knapp zwei Jahre gedauert.
Deutscher geht es kaum. Zwischen Aktendeckeln, ordentlich in eine gelochte Klarsichtfolie gesteckt, bewahrt Ahmed Karaman (*Name geändert) das Papier auf, auf das er fast zwei Jahre warten musste: Die Urkunde, die ihm die Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland bescheinigt. Doch der Weg zum deutschen Pass war lang und drohte sich im Paragrafendickicht zu verlieren. Der Fall des 39 Jahre alten Dortmunders bietet vielleicht eine Antwort darauf, warum sich die Zahlen der Einbürgerungen laut NRW-Integrationsministerium seit der Jahrtausendwende auf 29 357 halbiert haben.
„Ich fühle mich als Deutscher, aber auch als Türke. Das war für mich lange Zeit keine Frage des Passes“, sagt Karaman. Lange Zeit. Das galt von seiner Geburt im Dortmunder Norden bis ins Jahr 2010. Auf der Arbeit bei den Dortmunder Stadtwerken und in seinem internationalen Freundeskreis spielte seine Staatsangehörigkeit keine Rolle. Laut Ausweis war er ein Türke, gelebt hat er wie jeder andere Mensch im Ruhrgebiet auch. Eine Frau gefunden und geheiratet, eine Familie gegründet und „sich nie etwas zu schulden kommen lassen“.
Freikauf vom Militär für 10.000 Euro
Dann aber holte ihn eine Änderung des türkischen Militärgesetzes ein. Seinen Wehrdienst in der Türkei hatte der heute 39-Jährige nie abgeleistet und sich darauf verlassen, sich irgendwann für umgerechnet 5000 Euro davon freikaufen zu können. Dann aber erhöhte die Türkei diese Summe auf 10 000 Euro. Zu viel für Ahmed Karaman. „Im türkischen Konsulat sagten sie mir, dass ich doch einen Kredit aufnehmen sollte, wenn ich trotzdem meine Verwandten in Kappadokien besuchen wollte.“ Denn, wer nicht zahlt und trotzdem einreist, gilt als Fahnenflüchtling. Dafür kann man in der Türkei im Gefängnis landen.“
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Nun wollte Ahmed Karaman den deutschen Pass. Doch so einfach, wie er sich den Einbürgerungsprozess vorgestellt hatte, wurde es nicht. Unterlagen wie Gehaltsabrechnungen und Geburtsurkunde seien in der Ausländerbehörde verlegt, sein Fall unter anderem wegen Krankheitsfällen zwischen November 2010 und Oktober 2012 nicht bearbeitet worden. Die Stadt bestreitet diese Vorwürfe. „Der Antragsteller“ habe mehrfach die notwendigen Papiere nicht rechtzeitig eingereicht. „Ich bin sogar persönlich im Stadthaus gewesen“, weist der die Schuld von sich.
Zudem habe er noch einen Einbürgerungstest absolvieren müssen, obwohl er einen Hauptschul-Abschluss hat. „Ich fühlte mich diskriminiert. Sogar als ich den Test bestanden hatte, hat mich ein Angestellter im Ausländeramt bei der Ausgabe der Urkunde noch mehrmals gefragt, ob ich denn verstanden hätte, was es heißt, nach dem deutschen Grundgesetz zu leben.“ Aus Sicht der Stadt hat Ahmed Karaman den Test freiwillig gemacht, was er sich jedoch gern erspart hätte.
Fehlende Info vom Amt
Zur Verzögerung des Verfahrens hat zudem entscheidend beigetragen, dass die Türkei Ahmed Karaman nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen wollte. Nicht EU-Bürger müssen ihre alte Staatsbürgerschaft abgeben, wenn sie Deutsche werden wollen. Die Begründung des türkischen Konsulats für die Weigerung: er hatte seinen Militärdienst nicht geleistet. Aber dann gab es ja noch das Angebot, für 10 000 Euro könne er sich freikaufen – vom Dienst an der Waffe und von der türkischen Staatsbürgerschaft. Das Geld hatte Ahmed Karaman immer noch nicht.
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Die Hoffnungen schwanden. Im Ausländeramt sagte man ihm, dass von deutscher Seite da nichts zu machen sei. Was ihm verschwiegen wurde: Sowohl die schriftliche Weigerung ihn wegen nicht geleisteten Wehrdienstes aus der Staatsbürgerschaft zu entlassen als auch die Ablass-Summe von 10 000 Euro stellen Ausnahmetatbestände dar. Sie erlauben ihm neben der türkischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft zu führen. Als sogenannter Mehrstaater. „Das ist ein Problem. Die türkischen Behörden haben kein Interesse, darauf hinzuweisen und die Sachbearbeiter in deutschen Ämtern tun sich auch schwer“, sagt Kenan Araz, Leiter des Aktionsbüros Einbürgerung NRW.
Etwa 20.000 Türken hätten dasselbe Problem wie Ahmed Karaman – nur auf eine Lösung würden sie nicht hingewiesen. Dabei sind die Behörden nach Angaben des Landesinnenministeriums dazu angehalten, „einen großzügigen Maßstab an die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit anzulegen“. Grundsätzlich sei es Ziel der Landesregierung, die Doppelte Staatsbürgerschaft von Nicht-EU-Ausländern leichter dauerhaft hinzunehmen. Das Bundesinnenministerium sieht aktuell jedoch keinen Handlungsbedarf.
Stadt wollte „keine falschen Hoffnungen wecken“
Die Stadt Dortmund rechtfertigt sich damit, dass sie Ahmed Karaman keine „falschen Hoffnungen“ machen wollte und ihm deshalb nichts vom Ausnahmetatbestand erzählt hat, so lange der nicht „definitiv feststeht“. Durch eigene Recherchen hat der 39-Jährige dann doch herausgefunden, wie er die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen konnte, ohne die türkische aufgeben zu müssen. Er benötigte nur einen schriftlichen Nachweis darüber, warum ihn die Türkei nicht aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen wollte.
Seit einigen Wochen besitzt er nun die Einbürgerungsurkunde. Wirklich glücklich wirkt er dennoch nicht. „Ich bin zwar erleichtert, dass es geklappt hat. Aber Bürokratie und die Schikane haben mir die Freude daran genommen.“