Essen. . Der erste deutsche Papst seit vier Jahrhunderten ist zurückgetreten – und hat damit historische Größe bewiesen. Zumindest darin war sich die Talkrunde bei TV-Talkerin Sandra Maischberger einig. Bei der Bewertung seiner Lebensleistung allerdings griffen die Beteiligten zur verbalen Streitaxt.
Eines vorweg: Wer sich gestern den TV-Talk „Menschen bei Maischberger“ angetan hat, weiß, warum es Glaubenskriege gab und gibt. Die Debatte um die Frage „Ist Papst Benedikt XVI. gescheitert“ wurde mit einer solchen Schärfe geführt, dass man erwarten konnte, der bald 83-jährige Ex-CDU-Generalsekretär und Ex-Familienminister Heiner Geißler (Papst-Kritiker) werde dem Journalisten und Papst-Jünger Matthias Matussek körperliche Gewalt androhen – wenn die Sendung noch 30 Minuten länger gedauert hätte. So aber blieb es beim leider völlig unstrukturierten verbalen Schlagabtausch, dem man - Langmut vorausgesetzt - wenigstens einige interessante Denkanstöße abgewinnen konnte.
Und was bedeutet der Rücktritt für die Kirche?
Zu Anfang allerdings waren sich alle Kombattanten noch einig: Mit seinem Rücktritt hat Benedikt revolutionär mit einer überkommenen Tradition gebrochen – und Größe bewiesen. Die bekennende Atheistin und frühere Vize-Fraktionschefin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier, unterstrich: Das sei das „Fortschrittlichste, was dieser Papst jemals getan hat“. Der Jesuitenpater Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg möchte sogar, dass Benedikts Schritt zur Regel wird: „Päpste müssen zurücktreten“. Durch den medizinischen Fortschritt würden die Menschen heute im Durchschnitt deutlich älter: Aber ein alter gebrechlicher Mann könne die Aufgabe, die katholische Kirche zusammenzuhalten, den riesigen Apparat zu führen schlicht nicht mehr bewältigen. Dass er dies für sich erkannt habe, ehre den Papst.
Der protestantische Fernseh-Pfarrer Jürgen Fliege jedoch beendete die Meinungs-Ökumene mit seiner steilen These, wenn der Rücktritt eines Papstes möglich sei, dann sei das ja wohl auch ein Signal, dass im Vatikan noch ganz andere Dogmen umgestoßen werden könnten. Damit war die Diskussion zum Hauptthema des Abends gelangt – und im verbalen Glaubenskrieg angekommen.
Erzengel Geißler und seine Abrechnung mit dem Papst
Denn das Umstoßen von Dogmen gehört sicherlich nicht zu den großen Lebensleistungen dieses Papstes. Im Gegenteil, und darüber ereiferte sich besonders der rhetorische Erzengel des Abends, Heiner Geißler. Und er zählt auf: Wie der Kardinal Ratzinger als Leiter der Glaubenskongregation die Vertreter der Befreiungstheologie verfolgte und zum Teil aus der Kirche drängte, weil er sie politisch allzu weit links gewähnt habe. Oder wie er in gleicher Position anfänglich versucht habe, die Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche unter den Teppich zu kehren. Oder dass Papst Benedikt in Fragen der Sexualmoral (keine Benutzung von Kondomen!) lange Zeit völlig unbeweglich und realitätsfern geblieben sei. Oder wie er die Rückkehr zur lateinischen Messen verfügt habe - mitsamt der darin enthaltenen Fürbitte, die Juden mögen zum rechten Glauben finden. Oder wie Benedikt die evangelische Kirche brüskiert habe mit der Aussage, sie sei gar keine richtige Kirche. Oder wie Benedikt zur gleichen Zeit konservative Kirchenflügel wie Opus Dei und die Pius-Bruderschaft gestärkt habe. Summa summarum der Amtszeit Benedikts nach Geißlers Rechnung: Unter diesem Papst ist die Kirchenführung weiter verkrustet – weil sie Glauben lediglich mit Liturgie und mit Dogmen gleichsetzt, und er richtet an den Jesuitenpater von Gemmingen die durchaus jesuitische Frage: „Glauben Sie denn, dass Jesus, wenn er heute lebte, im Vatikan etwas von dem wiedererkennen könnte, was er gepredigt hat?“
Warum die Kirche „jesuanischer“ werden muss
Von Gemmingen räumte ein, die Kirche müsse wieder „jesuanischer“ werden, sich wieder verstärkt auf die Wurzeln ihres Glaubens konzentrieren – damit sei sie auch wieder näher bei den Menschen. Denn Jesus habe ja nicht Dogmen gepredigt, sondern Nächstenliebe und die Vergebung von Sünden und für Sünder. Wie Papst-Fan Mattussek verwies allerdings auch der Jesuitenpater auf die Aufgaben des Oberhauptes der Kirche: Seine Aufgabe sei eben nicht, die Grundsätze des Glaubens den jeweiligen Gegebenheiten des Zeitgeistes anzupassen. Die Kirche verkörpere einen Glauben – wer sich darin nicht wieder findet, kann nicht erwarten, dass sie sich den jeweiligen Bedürfnissen anpasse. „Auch Reformen werden die Kirchen in Europa nicht voller machen.“
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Und der Papst müsse die Kirche als Ganzes bewahren. Und die europäische Sicht der Dinge sei eine ganz andere als die des afrikanischen Christen, der ganz andere, nämlich existenziellere Alltgasprobleme habe als etwa die Frage, ob geschiedene Eheleute zum Abendmahl dürfen oder nicht. Und in Afrika, Lateinamerika und Asien erfreue sich die katholische Kirche weiterhin wachsenden Zulauf.
Spannung zwischen Zweifel und Glauben aufgehoben
Von Gemmingen geht davon aus, dass man erst in 20 Jahren die wahre Lebensleistung Benedikts erkennen werde – und die stecke in seinen Schriften, in denen er immer wieder der Frage und dem Hauptproblem nachgeht: Wie kann der aufgeklärte Mensch mit all seinem Wissen noch glauben. In seinen Schriften habe der feinsinnige Denker und Theologe Benedikt die Spannung aus täglichem Zweifel und Glauben aufgehoben und die Frage geklärt, wie man Christ sein kann in einer modernen Gesellschaft. Und ansonsten – und da war sich wenigstens der Jesuitenpater mit dem Jesuitenschüler Geißler einig, müsse der „Vatikan entmachtet und die Kirche dezentralisiert werden“, damit sie wieder näher bei den Menschen sein kann. Ob das allerdings der nächste Papst in Angriff nimmt, sei einmal dahingestellt.