Kevelaer. . In Deutschlands zweitgrößtem Wallfahrtsort sind viele von Papst Benedikt XVI. enttäuscht. Große Wut herrscht noch über seinen Umgang mit den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche und den vergewaltigten Frauen, die in katholischen Kliniken in Köln nicht versorgt wurden.
Langsam erwacht das Leben in der Fußgängerzone von Kevelaer: Karten mit aufgedruckten Kreuzen werden vor den Geschäften in den trüben Morgen gestellt. Kerzen, kleine wie große, stehen zum Kauf bereit. Dass der Rücktritt des deutschen Papstes Deutschlands bekanntestem Wallfahrtsort schaden könnte, glaubt hier keiner.
„Auch vor der Amtszeit von Benedikt war hier viel los“, sagt Trudi Jacobs (79) vom Glaskunst- und Devotionaliengeschäft direkt gegenüber der Gnadenkapelle und schiebt nach: „ Paul, der war ja hier. Aber der deutsche Papst hat es ja nicht bis nach Kevelaer geschafft.“ Sie verstehe, dass er nicht mehr Papst sein wollte. „Besser so, als wenn er bei der Predigt umkippt.“
Der Laden, im dem sie schon seit über vierzig Jahren steht, wird weiter teilhaben an der Million Touristen, die sich pro Jahr durch den beschaulichen Ort schieben, das denkt auch ihre Tochter Lucia Jacobs (41). Doch das Geschäft ist nicht alles, was die Glaskünstlerin bewegt. „Der jetzige Papst war mir zu konservativ. Unser Pfarrer zum Beispiel, er ist offen für unsere Probleme. Der Papst war es nicht.“
Wut über Missbrauchsskandale
Es sei gut, dass Benedikt abgetreten ist, so Lucia Jacobs. Zölibat, Missbrauchsskandal, die vergewaltigten Frauen, die von katholischen Kliniken abgewiesen wurden – die Wut darüber ist an diesem heiligen Örtchen größer als die Freude über den Umstand, dass ein Deutscher Papst war.
Wobei Barbara Holtmann vom Ordnungsamt, die gerade auf der Suche nach Falschparkern ist, es schön fand, „dass der Papst unsere Sprache spricht“. So war man sich nahe. Außerdem „war Benedikt, was das Zelebrieren der Messe angeht, ein gutes Vorbild“. Nur – „also Latein, nein, man muss ja nicht alles gut finden“.
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Uschi und Franz Douteil aus Goch, beide in der katholischen Kirche aktiv, sind „nach dem Schock am Montag“ nachdenklich geworden. „Wir brauchen neue Impulse“, sagt Uschi Douteil (60). Sie sei kein nachtragender Typ, aber „dass es erst hieß, vergewaltigte Frauen sollten das Kind austragen, das ist doch unerträglich. Wo soll denn da Mutterliebe entstehen? Und außerdem ist diese Pille danach doch gar keine Abtreibungspille.“
Nach Luthers Revolution ist alles nur noch eine Bruchbude
Beide Douteils finden, dass sich die katholische Kirche öffnen müsse, auch in Verhütungsfragen. „Und wenn man sich so gegen den Einfluss von Frauen wehrt, wird die Kirche noch mehr Anhänger verlieren“, so Uschi Douteil.
Im Priesterhaus kann heute kein Geistlicher das Kirchenoberhaupt vor so viel Kritik in Schutz nehmen. „Es ist kein Priester da“, heißt es kurz und knapp an der Pforte.
Aber dafür hat Christoph Klapper (70) eine Verteidigungsrede auf Lager. Der ehemalige Bank-Angestellte steht vor der Kerzenkapelle, zündet sich einen Zigarillo an und sagt: „Gottvater hat eben nur die Männer ausgesucht. Frauen spielten keine Rolle.“ Überhaupt sei er fasziniert davon, wie klug der Papst war und ist. Dass er die Nähe zu Protestanten, um nur ein Beispiel zu nennen, nicht verstärkt habe, ist für Klapper nur logisch: „Von Luther ging eine Revolution aus. Luther hat alles abgeschafft. Wenn man Denkmäler stürzt, bleibt eine Bruchbude zurück. Und das passt dann nicht zusammen.“ Ein paar Meter weg von Herrn Klapper, in der Fußgängerzone, findet der Papst wieder deutlich weniger Sympathisanten.
Susanne Stamm (37) kassiert gerade in einem Ein-Euro-Laden ab. „Ein Euro“, sagt sie, als sie dem Kunden das Feuerzeug aushändigt. „Den Papst hat es doch noch nie interessiert, dass es Leute gibt, die einen Zufluchtsort brauchen.“ Weil sie arm seien oder in Not. „Es geht denen da oben doch nur um die eigene Macht. Auch in Kevelaer bestimmt die Kirche alles. Und wenn ich so was sage, werde ich wahrscheinlich geteert und gefedert.“
Eine Kundin, die fragt, ob man ihr den gekauften Ballon auch aufblasen könnte, nickt. „Wir kleinen Leute sind dem Papst doch egal.“