Washington. Der Verdacht eines bevorstehenden Terroraktes reicht aus, damit die US-Regierung die Tötung eigener Staatsbürger anordnen kann: In einem Geheimpapier hat sich US-Präsident Barack Obama die Lizenz zum Töten mit unbemannten Drohnen absegnen lassen. Bürgerrechtler sehen eine “skandalösen Fall präsidialer Willkür“.

US-Präsident Obama hat sich im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus nachträglich eine mit großem Ermessensspielraum ausgestattete Lizenz zum Töten juristisch absegnen lassen. Nach einem Geheimpapier aus dem Justizministerium, das dem Fernsehsender NBC zugespielt wurde, darf das Weiße Haus danach auch die Ermordung amerikanischer Staatsbürger im Ausland mit Hilfe von unbemannten Drohnen anordnen - ohne vorherige richterliche Überprüfung.

Bei der Zielperson muss es sich um „hochrangige Mitglieder des Terrornetzwerkes El Kaida oder ähnlicher Gruppen“ handeln. Weil sich die geheimdienstliche Zielauswahl im juristischen Niemandsland bewegt und das Weiße Haus jede unabhängige Kontrolle verweigert, sprechen nicht nur Bürgerrechtler von einem „skandalösen Fall präsidialer Willkür“. Kongress-Abgeordnete beider Parteien wollen am Donnerstag bei der Anhörung des designierten Chefs des Geheimdienstes CIA, John Brennan, auf Einsicht in die Entscheidungswege pochen.

Entscheidung eines Beamten ersetzt rechtsstaatliches Todesurteil

Brennan, bisher Sicherheitsberater Obamas, ist der Architekt der seit 2009 forcierten Terror-Bekämpfung via Drohnen vom Typ „Predator“ (Raubtier) und „Reaper“ (Sensenmann). Bei knapp 400 Einsätzen sind dabei nach Angaben unabhängiger Institute in Afghanistan, Pakistan und Afrika bisher über 3000 Menschen ums Leben gekommen; darunter viele Zivilisten. Präsident Obama selbst hatte im vergangenen Herbst öffentlich ein Regelwerk eingefordert, nachdem die Exekution des aus Amerika stammenden El-Kaida-Predigers Anwar Al-Awlaki und seines Sohnes per Drohne 2011 internationale Kritik ausgelöst hatte.

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Das 16-seitige Papier aus dem Haus von Justizminister Eric Holder hat nun einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Danach ersetzt die Entscheidung eines „hohen Beamten“, der Ankläger, Geschworener und Richter in einer Person ist, ein rechtsstaatliches Todesurteil. Nachprüfbarkeit vor dem Betätigen des Computer-Joysticks, mit dem die Drohnen in der Regel vom Luftwaffenstützpunkt Creech nahe Las Vegas in Gang gesetzt werden, ist nicht erwünscht. Kategorisch stellt die Regierung fest, dass ein gerichtliches Gremium übergeordneten Sicherheitsinteressen im Wege stehe. Kurzum: Obama und seine obersten Berater sollen unbehelligt bleiben von Nachfragen, wie sie zu ihrer Gefährlichkeitsprognose im Einzelfall gekommen sind.

"Obama versündigt sich an der Verfassung"

Jameel Jaffer, Rechts-Experte der Bürgerrechts-Organisation ACLU, erkennt darin einen „rücksichtslosen und unverantwortlichen“ Anspruch der Regierung. Obama, einst in Chicago Dozent für Staatsrecht, versündige sich an der Verfassung. Besonders heikel erscheinen aus Sicht der Kritiker die „elastischen“ Kriterien, nach denen über Leben und Tod entschieden wird.

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Vordergründig heißt es in dem Papier, dass der zu exekutierende feindliche Kämpfer eine „unmittelbare Bedrohung“ für die Sicherheit der USA darstellen muss und eine Festnahme „nicht machbar“ ist. Im Kleingedruckten wird die Unmittelbarkeit gestrichen. „Die USA benötigen keine eindeutigen Beweise dafür, dass ein bestimmter Angriff auf US-Personen oder -Interessen kurzfristig stattfindet." Im Klartext: Terrorverdächtige können bereits weit im Vorfeld einer ihnen unterstellten Tat präventiv getötet werden.

Obama bringt eigene Partei in Argumentationsnot

Obama bringt mit dieser Politik seine eigene Partei in Argumentationsnot. Die Demokraten setzten seinerzeit alle Hebel in Bewegung, um Vorgänger George W. Bush zur Herausgabe juristischer Rechtfertigungen für die angewandten Foltermethoden („waterboarding“) bei Verhören von Terrorverdächtigen zu bewegen. Vergeblich. Als Obama ins Amt kam, machte er die Papiere nachträglich öffentlich und versprach mehr Transparenz. Die „Geheimniskrämerei“ um die Drohnen-Angriffe spreche dieser Ankündigung Hohn, hieß es vereinzelt unter demokratischen Abgeordneten.

Zu den prominentesten Kritikern der miniaturisierten Sicherheitspolitik per Drohne gehört der frühere Afghanistan-General Stanley McChrystal. Die Angriffe, die nach Untersuchungen der Universitäten Harvard und Stanford dem Terror-Netzwerk El Kaida in Afrika neuen Zulauf bescheren, würden als Ausdruck „amerikanischer Arroganz“ wahrgenommen. US-Regierungssprecher Jay Carney verteidigte die Strategie dagegen vehement - als „legal, ethisch einwandfrei und weise.“