Washington. . Der Verlust einer US-Drohne über dem Iran zeigt: Die USA spionieren ihre Gegner ungeniert mit unbenannten Flugzeugen aus. Ab Januar wird es solche Einsätze auch in der Heimat geben. Bürgerrechtler und Datenschützer sind alarmiert.
Abgeschossen vom Mullah-Regime in Teheran oder wegen technischer Unzulänglichkeiten außer Kontrolle geraten? Was auch immer die aus dem amerikanischen Nevada ferngesteuerte Spionage-Drohne RQ-170 über dem Iran zu Boden gebracht hat - für die Kritiker der unbemannten Flugkörper ist der Vorfall vom Wochenende eine Steilvorlage.
Denn weit über das Militärische hinaus zieht in Amerika der Einsatz der geräuscharmen fliegenden Augen fast unbemerkt von der Öffentlichkeit immer größere Kreise. Polizeibehörden, Unternehmen aus der Energieversorgung, Umweltschützer, Landwirte, Entwicklunghilfe-Organisationen und Medienhäuser interessieren sich zunehmend für die Miniatur-Flugzeuge, denen technisch hochwertigste „Augen” und „Ohren” eingebaut sind.
Die Technologie ist schon da
Fachleute auf dem Gebiet sind rar gesät. Die wenigen wie Peter W. Singer, Autor eines Bestsellers über Kriegsführung per Roboter, warnen: „Die Technologie ist da. Und sie wird eine immer größere Rolle in unserem Leben spielen.”
Wie zum Beispiel in Montgomery County/Texas. Die Zeiten, als Sheriff Tommy Gage bei Geiselnahmen oder Hausbränden ins Auto stieg und zum Tatort fuhr, sollen der Vergangenheit angehören. Der Bezirk hat für seine Polizei einen „ShadowHawk“ gekauft. Die 300 000 Dollar für das 1,90 Meter lange und 23 kg schwere Fluggerät hat sich die Kommune beim Heimatschutz-Ministerium in Washington gepumpt. Der „Schattenfalke” ist mit einer Infrarot-Kamera ausgestattet, die Tag und Nacht aus bis zu 350 Metern Höhe Live-Bilder erzeugen kann. So können Autokennzeichen und sogar Gesichter erkannt werden. Das Fluggerät kann nonstop drei Stunden in der Luft bleiben. Gesteuert wird der bis zu 110 km/h schnelle Flieger vom Schreibtisch in der Polizeistation aus mit dem Laptop-Computer.
Teuer – aber viel günstiger als ein Hubschrauber
Sheriff Cage will den unbemannten Mini-Polizeihubschrauber in die Luft bringen, wenn ein Kind vermisst wird oder sich in einer Chemie-Fabrik ein Unglück anbahnt; als Späher aus sicherer Entfernung. Aber auch Verfolgungen von flüchtenden Kriminellen in Echtzeit und Kontrollen an der Grenzen zu Mexiko sind möglich, sagt Sheriff Gage.
Montgomery County ist nicht allein. Wie die US-Flugbehörde FAA mitteilte, wollen rund 300 von 18 000 Polizeibehörden ihren Wagenpark mit den Fluggeräten aufrüsten. Im Vergleich zu einem echten Polizeihubschrauber, der um die 1,7 Millionen Dollar kostet, sind die Miniatur-Geräte kostengünstig und schneller verfügbar.
Kriegsdrohne und Polizedrohne aus einer Hand
Laut FAA-Sprecherin Lynn Lunsford müssen die Kommunen ein umfangreiches Lizenzierungsverfahren absolvieren, das den Test-Einsatz der fliegenden Wachmeister erst nur in unbewohnten städtischen Randlagen erlaubt. Polizeibehörden in Miami-Dade (Florida) und Arlington (Texas) wollen aber bereits in wenigen Wochen in den regulären Einsatz übergehen.
Datenschützer sind alarmiert. Die Möglichkeit der geräuschlosen, flächendeckenden 24-Stunden-Bespitzelung ganzer Stadtteile verstoße eindeutig gegen die Verfassung, sagt Terri Burke von der Bürgerrechts-Organisation ACLU. Ein Dorn im Auge ist den Kritikern, dass die Hersteller auch jene mit Raketen aufrüstbaren Drohnen für das Militär bauen, die in Afghanistan und Pakistan regelmäßig für tödliche Anti-Terror-Einsätze startklar gemacht werden. Und was, fragt Burke, „wenn die Dinger bösen Mächten in die Hände fallen?”
Umweltschützer und Entwicklungshelfer als Kunden?
AeroVironment Inc., Marktführer bei der Produktion von Drohnen für das Pentagon, will die Bedenken zerstreuen und rückt die zivilen Nutzungsmöglichkeiten in den Blickpunkt. Hier wartet ein milliardenschwerer Markt. Von Maklern, die ihren Kunden aus der Luft weitläufiges Gelände zeigen wollen, über Öl- und Gas-Konsortien, die ihre Pipelines besser kontrollieren möchten, und Umweltschützer, die Schadstoffkonzentrationen über Brandherden und Lava speienden Vulkanen messen, bis hin zu Entwicklungshilfe-Organisationen, die passgenau Nahrungsmittel und dringend benötigte Medikamente in unwegsame Regionen zu transportieren haben, reiche das „alltagstaugliche Spektrum”.
Journalismus inklusive. An der Universität von Nebraska-Lincoln hat Professor Matt Waite eine Forschungsstelle eingerichtet, die unter „ethischen, rechtlichen und praktischen Aspekten” den Einsatz des künstlichen Reporter-Auges untersucht. Verwendungsmöglichkeiten, sagt Waite, gebe es für die unter Dauersparzwang leidenden visuellen Medien genug. Waite denkt an gefahrlos produzierbare Bilder von Tornadoverwüstungen und Brandkatastrophen. Oder an die Atomreaktor-Schmelze in Japan. Nicht zu vergessen all jene Orte, wo die Polizei – etwa zuletzt bei der Räumung der „Occupy Wall Street”-Protestzelte in New York –Journalisten weiträumig vom Ort des Geschehens fernhielt.
Google Street View ist dagegen harmlos
Auch hier hat AreoVironment das entsprechende Produkt parat. “Qube”, ein 25 Kilogramm schwerer und 40 000 Dollar teurer Flugkörper, der wie eine verärgerte Hornisse brummt, kann aus bis zu 60 Meter Höhe kristallklare Videoaufnahmen von allem machen, was am Erdboden geschieht. Das Flugobjekt passt in den Kofferraum eines Kleinwagens. Was Einsatzmöglichkeiten erahnen lässt, vor denen sich die Befürchtungen rund um Google Street View rückblickend als harmlos ausnehmen.
Im Januar will die einflussreiche Flugbehörde FAA landesweit Richtlinien erlassen, die der Integration von Drohnen in den zivilen Luftverkehr dienen sollen. Dass mit Hilfe von Paragraphen verhindert werden kann, dass sich ein Drohne technisch selbstständig macht, auch eine mit Waffen bestückte, halten Kritiker für eine Illusion. Noch mehr die Annahme, dass Kriminellen der Zugriff auf fliegende Killer-Roboter in Zukunft verwehrt werden kann.