Essen. Ältere sind nicht immer nur Opfer von Kriminalität, sie sind zunehmend auch Täter. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei ist die Zahl der Tatverdächtigen über 60 Jahren in den vergangenen 20 Jahren um über 50 Prozent gestiegen. Besonders Betrugsdelikte gelten als Seniorenverbrechen.
Man nannte sie die Opa-Bande. Der jüngste im Bankräuber-Trio war 64. Aber auch der älteste, 74, wurde für neun Jahre ins Gefängnis geschickt. Keineswegs „liebe Großväter“ seien die drei, sondern Schwerverbrecher, die mit Masken über den Köpfen in 16 Jahren 14 Geldinstitute ausgeräumt hatten, begründete der Richter in Hagen die harten Strafen. Das war 2006.
Vielleicht hat sich da schon der – auch demografisch bedingte – Trend angekündigt: Ältere in dieser Gesellschaft sind nicht immer nur Opfer von Kriminalität. Sie sind zunehmend auch Täter. Bernhard Witthaut, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), rechnet vor: 2011 wurden laut Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) bundesweit 152 500 tatverdächtige Männer und Frauen über 60 registriert.
Auch interessant
1993, bald zwei Jahrzehnte zuvor, waren es noch gerade 103 000. Witthaut: „Das ist eine Steigerung von fast 50 Prozent“. Auch der Anteil der Älteren an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen ist innerhalb von 20 Jahren von fünf auf 7,5 Prozent gestiegen. Zwei Drittel davon sind Männer.
Ältere auch häufiger als Opfer von Kriminalität
Gleichzeitig nähmen aber auch die Fälle zu, in denen Ältere Opfer werden, sagt Witthaut. 2002 waren es 43 400, heute liegt die Zahl bei fast 54 000. Und deshalb sieht der GdP-Chef Handlungsbedarf. Die Polizei müsse sich darauf vorbereiten - auch durch eine spezielle Ausbildung. „Diese Täter oder Opfer erscheinen nach Straftaten oft äußerst hilflos und emotional stark angegriffen. Die Betroffenen müssen in diesen Ausnahmesituationen möglichst aufgefangen werden, um auch Hinweise für die Ermittlungen zu bekommen“, sagt Witthaut.
Auch interessant
Es gibt Länder, die haben schon mehr Erfahrung mit der Entwicklung. Japan gehört dazu. In der jetzt schon sehr alten japanischen Gesellschaft ist die Zahl der Ersttäter im Seniorenalter deutlich angestiegen – Menschen, die oft keine familiären Bindungen mehr haben und die dann zu Ladendieben werden, weil sie in großer Armut leben.
Gewaltkriminalität in der häuslichen Pflege
In der Polizeiführung von Hamburg hat sich ein besonderer Stab damit befasst. Eins zu eins ließen sich die japanischen Erfahrungen nicht übertragen. Aber das „Hamburger Abendblatt“ zitiert Thomas Mülder, den Chef dieses Stabes, mit den Worten: „Die Generation, die mit virtuellen Netzwerken groß geworden ist, wird nicht mit 70 am Computer aufhören“.
Was klar die Erwartungen der Experten umreißt: Besonders Betrugsdelikte werden zu den klassischen Seniorenvergehen und -verbrechen zählen. Wer heute auf Raubzug durch die Ladenzeilen geht, wird dies in Zukunft im Internet machen. Und die Gewaltkriminalität könnte sich auf den Bereich der häuslichen Pflege konzentrieren. Beide Felder sind nur mit viel und gut geschultem polizeilichem Personal aufzuklären.
Kann da die Rechnung „Weniger Bevölkerung, weniger Straftaten, weniger Polizei“ aufgehen?
Kann da die Rechnung „Weniger Bevölkerung, weniger Straftaten, weniger Polizei“ noch aufgehen? Wissenschaftler erwarten neben einer Verringerung auch eine erhebliche Verschiebung der Struktur der Straftaten. Bis 2024 werde die Zahl der räuberischen Erpressungen um fast 20 Prozent, die der Körperverletzungen um 12 Prozent zurückgehen. Die der Vermögensdelikte und Fälschungen und selbst die der Tötungsdelikte werde aber nur um sieben bis neun Prozent sinken, geht aus einer Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hervor.
Auch interessant
Das Institut hat 2009 zur Auswirkung der demografischen Entwicklung auf Sicherheitsfragen forschen lassen. Der Wissenschaftler Wolfgang Kahl bestätigt mit seiner Analyse die Erwartungen in den Polizeipräsidien, wohin die Reise geht: „Obwohl es in diesem Bereich keine verlässlichen Daten gibt, ist mit einer Zunahme der Zahl pflegebedürftiger Menschen auch mit einer Zunahme der Gewaltphänomene in diesem Zusammenhang zu rechnen“. Auch er stützt die Annahme der Gewerkschaft der Polizei, hier entwickele sich ein Problem: Schon heute, so Kahl, zeige sich, dass der Zuwachs bei den registrierten Tatverdächtigen seit 1993 um mehr als vier Fünftel auf der Zunahme der Tatverdächtigen ab 40 Jahren aufwärts zurückgehe.
"Opa-Bande" raubte Banken mehr als drei Millionen Euro
Tatsächlich gab es selbst bei den Taten der Opa-Bande von Hagen altersbedingte Kriminalitätsmotive. Sie sammelten an den überfallenen Bankschaltern insgesamt drei Millionen Euro ein. Das Geld sollte der gemeinsamen Rentenaufbesserung dienen und wurde beseite gelegt. Die Ermittler hatten also leichtes Spiel, die Beute zu beschlagnahmen. Vollständig.