Düsseldorf. . Kürzungen beim Personal sind für den Grünen-Landtagsfraktionschef Reiner Priggen vorstellbar, aber nicht als Allheilmittel. Das Land könne das Sparziel alleine nicht schaffen. Bei weiterer Etat-Belastung durch den Bund sieht er die Schuldenbremse in Gefahr.

Das politische Jahr läuft in Nordrhein-Westfalen diesmal etwas anders an als üblich. Die Bundestagswahl im September macht sich schon bemerkbar. Zu Beginn stellte sich der grüne Landtagsfraktionschef Reiner Priggen unseren Fragen – und sprach über die Aussichten für 2013, Zukunftsenergien und den Spardruck im Haushalt.

Herr Priggen, finden Sie auch wie Peer Steinbrück, dass man als Bundeskanzler besser bezahlt werden müsste?

Priggen: Nein, das Salär ist in Ordnung. Das Problem liegt woanders. Statt höhere Gehälter zu fordern sollten wir darüber diskutieren, ob Sparkassenchefs das Zwei- oder Dreifache der Kanzlerin verdienen müssen. Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen, was neu justiert werden sollte.

Steinbrück verbessert mit seiner Äußerung nicht gerade die Aussichten von Rot-Grün für die Bundestagswahl, oder?

Priggen: Na ja, da ist auch viel Heuchelei im Spiel, wie schon bei der Diskussion über seine Honorare für Vorträge. Klar ist: Wir sollten uns darauf konzentrieren, die Koalition in Berlin abzulösen. Schwarz-Gelb ist handwerklich miserabel und stellt die schlechteste Bundesregierung, die ich in meiner aktiven Zeit als Politiker erlebt habe.

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Zunächst wählt Niedersachsen in gut zwei Wochen. Was bedeutet der Wahlausgang für Berlin?

Priggen: Rot-Grün liegt in allen Umfragen vorn, und ich glaube nicht, dass der Trend noch gedreht wird. NRW hat den Stein ins Rollen gebracht. Wenn Rot-Grün auch in Hannover die Wahl gewinnt, bestätigt sich die gute und reelle Chance auch für den Wechsel im Bund – ohne dass wir die kämpferischen Qualitäten von Frau Merkel unterschätzen.

Wie wollen Sie 2013 aus NRW einen Machtwechsel in Berlin unterstützen?

Priggen: Indem wir die bessere Alternative herausstreichen, zum Beispiel in der Energiepolitik. Da arbeiten die Minister Remmel und Duin sehr viel kollegialer zusammen als das Duo Infernale Altmaier und Rösler im Bund. Wir gestalten den Übergang zu Erneuerbaren Energien zügig und pragmatisch, etwa durch fünf Gaskraftwerke, die in Bau oder Planung sind. Moderne Kraftwerke müssen schnell und flexibel sein und ein hohes Maß an Wärmeauskopplung haben. Außerdem werden bei uns in den nächsten Jahren rund zwei Milliarden Euro in Windkraft investiert. Die Devise heißt: NRW geht voran. Beispielsweise auch durch das neue Klimaschutzgesetz in diesem Jahr.

In Zukunft keine neuen Kohlekraftwerke und Tagebaue mehr 

Ganz so rosig ist es ja nicht. Nach einer neuen Studie liegt NRW bei den Erneuerbaren Energien im Ländervergleich hinten. Sieht so die Energiewende aus?

Priggen: Die Statistik ist ein wenig irreführend. Wir produzieren in NRW fast soviel Windstrom wie Schleswig-Holstein, das bundesweit Spitzenreiter ist, und achtmal soviel wie Bayern oder Baden-Württemberg. Da wir das traditionelle Kohle-Land sind, fällt der prozentuale Anteil von Windenergie an der Stromerzeugung bei uns natürlich geringer aus. Wir erzeugen außerdem viel mehr Strom als wir in NRW brauchen, und exportieren ihn in andere Bundesländer.

NRW will bis 2025 den Anteil der Erneuerbaren auf 30 Prozent steigern. Das ist ehrgeizig, aber ohne Kohle kommen Sie auch danach nicht aus.

Priggen: Das ist richtig, die neuen Kohlekraftwerke, die jetzt ans Netz gehen, werden 40 Jahre laufen, bei einem ständig steigenden Anteil Erneuerbarer Energien. Aber Vorsicht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat gerade ein Gutachten vorgelegt. Es hält den Bau neuer Braunkohlekraftwerke ökonomisch und energiepolitisch nicht für sinnvoll und den Aufschluss weiterer Tagebaue für überflüssig. Besonders spannend finde ich daran, dass Professor Claudia Kemfert beim DIW für die Studie fachlich zuständig ist. Sie war ja im Schattenkabinett von Norbert Röttgen als CDU-Wirtschaftsministerin für NRW vorgesehen.

Zum Haushalt. Stehen Sie ohne Wenn und Aber zur Schuldenbremse?

Priggen: Wir müssen sie einhalten. Aber das Ziel, spätestens 2020 keine neuen Kredite mehr aufzunehmen, werden wir nur erreichen, wenn uns der Bund nicht immer aufs Neue belastet, sondern unterstützt. Allein die jüngste Anhebung der Steuerfreibeträge kostet NRW pro Jahr 250 Millionen Euro. Um die Dimension deutlich zu machen: Das sind umgerechnet 5000 Stellen, die wir streichen müssten.

Die NRW-Koalition spart im neuen Haushalt 150 Millionen Euro ein. Ist das nicht zu wenig?

Priggen: Das ist nur der Anfang, und es gibt schon jetzt sehr bittere Reaktionen, etwa bei den Wohlfahrtsverbänden. Trotzdem müssen wir strukturell bis 2017 eine Milliarde Euro sparen. Das heißt, wir müssen sehr viel stärker an Strukturen und Programme rangehen. Uns bleibt gar keine Wahl. Gespannt bin ich, ob die Opposition auch mal einen Sparvorschlag macht oder sich wieder in die Büsche schlägt.

Kann man über Kürzungen beim Personal den Haushalt des Landes sanieren?

Priggen: Wir können den Etat nicht mit Entlassungen sanieren. Es darf zwar prinzipiell keine Tabuzonen geben, aber als Allheilmittel wäre das unrealistisch. Wir nehmen jetzt 3,5 Milliarden Euro neue Schulden auf. Um das auszugleichen, müssten wir 70.000 Stellen einsparen. Das ist unmöglich. Um den Haushalt ins Lot zu bringen, brauchen wir auch Mehreinnahmen. Das heißt: einen höheren Spitzensteuersatz und eine Erbschaftssteuer, die im europäischen Maßstab vergleichbar ist.