Berlin. . Im Interview mit der WAZ Mediengruppe spricht die Bundeskanzlerin über die persönliche Angriffe der Griechen und erklärt, warum es ihrer Ansicht nach nicht die Aufgabe des Staates ist, bei Opel einzugreifen.

Ihr Terminkalender ist in diesen Tagen extrem dicht gedrängt, aber die Bundeskanzlerin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen und konzentriert empfängt Angela Merkel in ihrem Büro im Kanzleramt Armin Maus und Christian Kerl zum Interview. Es gehe ihr gut, sagt die Kanzlerin zur Begrüßung auf Nachfrage, „die Arbeit macht mir Freude“.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gerade wieder einen EU-Gipfel hinter sich, über 25 waren es seit Beginn der Euro-Krise. Wie viel Kraft kostet Sie die Euro-Rettung eigentlich, wie sehr bestimmt es Ihre Arbeit?

Angela Merkel: Es ist natürlich ein sehr bestimmendes Thema. Europa erlebt die größte Bewährungsprobe der letzten Jahrzehnte. Europapolitik ist heutzutage zum guten Teil Innenpolitik. Unser Wirtschaftswachstum, die Sicherheit unserer Arbeitsplätze – das ist sehr eng an die Entwicklung in Europa gekoppelt. 60 Prozent unserer Exporte gehen in die EU-Staaten, 40 Prozent in die Eurozone. Deshalb stelle ich mir immer die Frage, was eine europapolitische Entscheidung für uns in Deutschland bedeutet - und umgekehrt. Der Ansatz, den die Bundesregierung von Anfang an verfolgt, hat sich bewährt: Wir sind solidarisch mit den in Schwierigkeiten geratenen Länder unter der Voraussetzung, dass diese Länder ihre Schulden entschlossen abbauen und sich reformieren.

Es gibt dennoch die Befürchtung, die Krise werde noch sehr teuer für den deutschen Steuerzahler. Die Opposition beklagt, Sie würden das verschweigen…

Merkel: Ich informiere die Bürger stets über den Stand der Dinge. Wir alle wissen zum Beispiel, dass die Pleite von Lehman Brothers 2008 am Ende sehr teuer geworden ist. Sie hat der Welt eine schwere Krise und uns in Deutschland einen Wirtschaftseinbruch von fünf Prozent beschert. Wir mussten teure Konjunkturprogramme und 2010 einen Haushalt mit Rekordverschuldung auflegen. Nicht-Handeln kann aber unter Umständen viel teurer sein als handeln. Die Fehler, die in Europa über viele Jahre gemacht wurden - mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, zu hohe Schulden - können nicht über Nacht behoben werden. Wir sind in einem mehrjährigen Prozess tiefgreifender Veränderungen, die unumgänglich sind. Ohne die notwendigen Reformen, mit denen die Bedingungen für bessere Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden, würde vieles teurer werden als die in Europa jetzt beschlossenen Maßnahmen.

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Es gibt in Griechenland beleidigende Äußerungen, die auf Sie persönlich zielen. Wie sehr trifft Sie das?

Merkel: Die freie Meinungsäußerung, manchmal auch sehr zugespitzt, gehört zur Demokratie. Es ist gut, dass in Europa jeder demonstrieren und ungehindert seine Meinung sagen kann. Ich weiß, dass vielen Menschen in Griechenland zur Zeit sehr viel zugemutet wird. Es ist wichtig, dass wir miteinander im Gespräch bleiben, und ich arbeite mit der griechischen Regierung, die Veränderungen will, gut zusammen.

Warum die CDU nur für die CDU wirbt, auch wenn der Koalitionspartner unter die Räder gerät 

Lassen Sie uns über die Wahlen sprechen: Sie werden am 5. Januar in Braunschweig mit Ministerpräsident McAllister den Landtagswahlkampf eröffnen und dann massiv hier engagieren. Wie wichtig ist Niedersachsen für Sie, ist das eine Vorentscheidung für die Bundestagswahl?

Merkel: Es ist eine Landtagswahl, für die ich David McAllister sehr gern unterstütze. Er ist ein sehr guter, erfolgreicher Ministerpräsident.

In Niedersachsen könnte nach praktisch allen Umfragen die schwarz-gelbe Koalition ihre Mehrheit verlieren, weil die FDP schwächelt - so wie im Bund auch. Wäre es nicht sinnvoll, die CDU würde den Koalitionspartner mit einer Zweitstimmenkampagne stützen?

Merkel: Seit es die Bundesrepublik gibt, machen wir Christdemokraten Wahlkampf für uns selber, denn die CDU kämpft für ein starkes Wahlergebnis, und dabei lässt David McAllister keinen Zweifel, dass er weiter in der Koalition mit der FDP arbeiten möchte.

Eigentlich sollte vor der Landtagswahl ein neues Atomendlager-Suchgesetz vereinbart sein. Das hat nicht geklappt. Welche Bedeutung hat es für Sie, dass ein solches Gesetz noch in dieser Wahlperiode im breiten Konsens zustande kommt - werden Sie sich auch persönlich dafür einzusetzen?

Merkel: Ich verfolge die Gespräche sehr aufmerksam und habe den Eindruck, dass sie schon weit gediehen sind. Beim Asse-Beschleunigungsgesetz haben wir ja gerade auch einen parteiübergreifenden Konsens gefunden. Mich hat das sehr gefreut. Als wir 2011 den Energiekonsens vereinbarten, haben Regierung und Opposition sich ein gemeinsames Endlagersuchgesetz zum Ziel gesetzt; das sollten wir mit gutem Willen gemeinsam auch schaffen. Mir ist es wichtig, damit Jahrzehnte bitterer Auseinandersetzungen wirklich hinter uns zu lassen.

Bürgerinitiativen fordern, Gorleben bei der künftigen Endlager-Suche ganz außen vor zu lassen - und verweisen auf die Erfahrungen mit der Asse. Können Sie das nachvollziehen?

Merkel: Es ist ein Zeichen des guten Willens, dass Umweltminister Altmaier einen Erkundungsstopp für Gorleben zur Bundestagswahl angeordnet hat. Bis dahin kann man das Endlager-Suchgesetz gemeinsam schaffen.

Warum sich die Kanzlerin über das Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz ärgert 

Andere große Vorhaben scheinen der Koalition in dieser Wahlperiode nicht mehr zu gelingen: Im Vermittlungsausschuss gab es wieder keine Mehrheit für die geplante Steuerentlastung, das Steuerabkommen mit der Schweiz oder das Programm zur energetischen Gebäudesanierung. Wie schwer wiegt das für Sie, empfinden Sie das als Blockade von SPD und Grünen?

Merkel: SPD und Grüne müssen ihre Ablehnung den Bürgern erklären und die Bürger werden sich ihre Meinung bilden. Für die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung sind praktisch alle beteiligten Interessenverbände in Deutschland, Handwerker ebenso wie Klimaschützer. Der Bund wird deshalb jetzt mit einem eigenen Förderprogramm mit einem Gesamtvolumen von 2,4 Mrd. € aktiv werden.

Und die Steuerentlastung, die Dämpfung der kalten Progression?

Merkel: Der Vermittlungsausschuss hat sich für die verfassungsrechtlich gebotene Erhöhung des Grundfreibetrags ausgesprochen. Dass SPD und Grüne eine weitere Entlastung vor allem für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen nicht unterstützen, ist nicht gerecht und letztlich unverständlich, zumal der Bund angeboten hatte, den Ländern ausnahmsweise einen großen Teil ihrer Steuerausfälle zu ersetzen. Aber auch darüber werden sich die Menschen ihr Urteil bilden. Und was das Steuerabkommen mit der Schweiz anbelangt, haben wir eine beinahe paradoxe Situation, denn ich habe zum Beispiel Griechenland ermutigt, ein solches Abkommen mit der Schweiz abzuschließen; die Verhandlungen sind weit vorangeschritten.

… und jetzt klappt es hier gar nicht...

Merkel: Der Vermittlungsausschuss hat sich mit der Mehrheit der Opposition dafür ausgesprochen, das Gesetz zur Umsetzung des Abkommens zu stoppen. Das ist schwer verständlich, weil das ausgehandelte Abkommen für die Vergangenheit eine Steuerzahlung von knapp zwei Milliarden Euro, wahrscheinlich sehr viel mehr gebracht hätte. Die wäre zum Großteil den Ländern zugutegekommen. Hinzu wären beträchtliche laufende Einnahmen getreten. Zufällige Ankäufe von Steuer-CD sind kein Ersatz für eine systematische Lösung, wie sie das Abkommen beinhaltet. Nun werden Steueransprüche für die Vergangenheit unwiederbringlich verjähren.

Sehen Sie die Ablehnung als totale Blockade von SPD und Grünen oder hoffen Sie noch auf eine Einigung?

Merkel: Wir werden den Bürgern erklären, warum wir von dem Steuerabkommen als einer guten Lösung für Deutschland überzeugt sind. Zufällige Ankäufe von Steuer CD sind kein Ersatz dafür, dass in Zukunft alles von Deutschen in der Schweiz angelegte Kapital genauso behandelt und besteuert wird wie das auf deutschen Konten.

Gibt es da ein Kommunikationsproblem zwischen Regierung und Opposition?

Merkel: Nein, sondern unterschiedliche politische Auffassungen.

Warum das geplante Leistungsschutzrecht keine Freiheiten der Nutzer einschränkt 

Wird der Koalition noch etwas gelingen beim Thema Mütter-Renten? Der CDU-Parteitag hatte eine Besserstellung für ältere Mütter beschlossen, aber jetzt gibt es intern Streit.

Merkel: Es gibt eine Ungleichbehandlung bei der Rente für Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben. Ihnen werden weniger Anerkennungszeiten angerechnet. Da unsere finanziellen Spielräume begrenzt sind und auch davon abhängen, wie sich die Wirtschaft nächstes Jahr entwickelt, werden wir prüfen, in welchen Schritten wir etwas erreichen können, um den Parteitagsbeschluss umzusetzen. Gleichzeitig müssen wir alles dafür tun, dass wir weiter Wachstum haben und immer weniger Arbeitslose.

Sie wollen das 2013 beschließen für die Folgejahre?

Merkel: Zunächst einmal will ich dieses Thema mit unserem Koalitionspartner besprechen, und unabhängig davon wird die CDU deutlich machen, wie wir uns die Umsetzung dieses Anliegens vorstellen.

Der Bundestag hat einen neuen Bundeswehr-Einsatz beschlossen, diesmal geht es um Patriot-Raketen für die Türkei. Der Bundeswehrverband ist skeptisch, warnt vor dem Einsatz von Chemiewaffen und einer Verwicklung in einen Konflikt, den eigentlich niemand will. Wie groß ist das Risiko?

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Merkel: Die zuständigen Minister und ich beraten über jeden militärischen Einsatz sehr sorgfältig. Die Türkei ist Nato-Mitglied, es ist selbstverständlich, dass wir unseren Bündnispartnern auch beistehen. Das Mandat ist sehr klar formuliert, der Einsatzzweck ist eindeutig defensiv, um nicht in den syrischen Konflikt verwickelt zu werden. Dass Syrien Chemiewaffen besitzt, wird nicht bestritten, aber das hat mit der Bitte der Türkei um Beistand an ihrer Grenze und dem Einsatz der deutschen Patriot-Besatzungen nichts zu tun.

Debatten gibt es auch ums Leistungsschutzrecht für Verlage. Google und andere Anbieter protestieren gegen die geplante Gebührenpflicht für journalistische Angebote im Internet. Bleibt es dennoch bei dem Vorhaben?

Merkel: Unser Gesetzentwurf wird jetzt im Bundestag beraten. Wir haben sehr darauf geachtet, dass der einzelne Internet-Nutzer oder Blogger davon nicht betroffen ist. Es geht um kommerzielle Nutzung der verlegerischen Leistung, die Presseartikeln zugrunde liegt und für die eine Vergütung entrichtet werden soll. Die Internet-Nutzer wissen, dass ihre persönlichen Freiheiten nicht eingeschränkt werden.

Warum es keine staatlichen Hilfe für den Opel-Standort Bochum gibt 

Die wirtschaftliche Entwicklung trübt sich ein: Deutschland schrammt an der Rezession vorbei, jetzt gibt es Schreckensmeldungen von Opel. Warum ist die Bundesregierung bei Opel diesmal nicht bereit, helfend einzugreifen?

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Merkel: 2008 ging es um die Frage, ob Opel insgesamt in Gefahr gerät, weil General Motors im Zuge der Finanzkrise in den USA verstaatlicht wurde. Das war eine besondere Situation, in der wir Opel selbstverständlich eine Chance geben wollten. Wenn jetzt eines von mehreren Werken die Autoproduktion verliert, dann ist das ohne Zweifel ein Schlag für Bochum und die Menschen dort, aber dennoch ein anderer Sachverhalt, der in der Verantwortung des Unternehmens liegt. Die Verantwortlichen in Bochum sind ja seit langem mit General Motors und Opel darüber im Gespräch, welche Alternativen man anbieten kann.

Was erwarten Sie insgesamt für 2013?

Merkel: Die Wachstumsraten verlangsamen sich auch bei uns. Das Wachstum wird auch infolge gestiegener Löhne vor allem vom Binnenkonsum getrieben. Um die Menschen zu entlasten und die Konjunktur in Deutschland zu stärken, haben wir zum Beispiel die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt und die Praxisgebühr abgeschafft. Für völlig falsch halte ich es, jetzt die Steuern zu erhöhen, die Erbschaftssteuer anzuheben oder die Vermögenssteuer wieder einzuführen.

Sie spielen auf die Programme von SPD und Grünen an

Merkel: Das schadet unserem Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft. Die christlich-liberale Koalition setzt dagegen darauf, unter den jetzt schwierigeren Bedingungen weiter Wirtschaftswachstum möglich zu machen und Arbeitsplätze zu sichern. Darin sehe ich wirtschaftspolitisch die oberste Aufgabe.

Freuen Sie sich eigentlich auf die Debatten mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück?

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Merkel: Wir kennen uns gut. Ich freue mich auf einen fairen Wahlkampf.

Und wenn Sie gewinnen - unter welcher Überschrift stünde Ihre dritte Amtszeit?

Merkel: Unverändert geht es um Freiheit in Verantwortung, also darum, wirtschaftliche Kraft mit sozialem Ausgleich zu verbinden. Eine der größten innenpolitischen Herausforderungen dabei ist der demographische Wandel. Wir werden in den nächsten 18 Jahren bis zu 6 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter weniger haben - jeder junge Mensch bei uns muss über Bildung und Ausbildung seine Chance bekommen. Wir müssen uns auch um die kümmern, die aus aller Welt zu uns gekommen sind und jetzt zu unserem Land gehören. Und wir müssen Forschung und Entwicklung fördern: Nur wenn wir Produkte herstellen können, die besser, energieeffizienter, attraktiver sind als die unserer weltweiten Konkurrenten, werden wir weiter eine starke Exportnation sein. Diese Wettbewerbsfähigkeit dürfen wir nie verlieren, wir müssen sie sogar noch ausbauen. Und bei alldem müssen wir auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft achten, von Einheimischen und Zugezogenen wie auch auf ein gutes Zusammenleben von Jung und Alt. Der Einsatz für einen stabilen Euro und die notwendigen Reformen in Europa werden uns auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen. All das müssen und können wir auch bewältigen, damit Deutschland menschlich und erfolgreich bleibt und Chancen für alle bietet.