Brüssel. Die Bundeskanzlerin - der stets vorgeworfen wird, sie entwickle zuwenig Emotionen für das Projekt der europäischen Einigung - tritt im EU-Parlament als überzeugte Europapolitikerin auf.
Angela Merkel redet sich in Rage. Nach einem nüchternen Anfang zeigt die Bundeskanzlerin am Mittwoch in Brüssel, dass sie in Europa nicht nur die „Madame No“ einnimmt. Sondern leidenschaftlich für Europa streiten kann. Dazu bedarf es allerdings erst der Auseinandersetzung mit EU-Abgeordneten verschiedener Parteien und Staaten.
Zunächst ist Merkel im EU-Parlament gewohnt nüchtern. Routiniert liest sie ihre europapolitische Rede vom Blatt ab. Darin taucht das Wort „Freiheit“ öfter auf. „Die Kraft der Freiheit verleiht uns auch den Mut zur Veränderung“, sagt die Kanzlerin mit Blick auf anstehende Reformen in Krisenstaaten und auf EU-Ebene.
Merkel fordert mehr Macht für Brüssel: „Der Vertiefungsprozess der Europäischen Union ist unverzichtbar.“ Und: „Europa – das ist Innenpolitik!“ Später erklärt sie, dass sie nichts dagegen hätte, die EU-Kommission zu „einer Art europäischen Regierung“ umzufunktionieren. Bei vielen EU-Abgeordneten kommt das gut an. Mehrfach klatschen sie während Merkels Rede. Doch in Fahrt kommt die Kanzlerin des größten EU-Staats erst, als Parlamentarier das Wort er- und sie angreifen.
Vergiftetes Lob der Briten
Der Österreicher Hannes Swoboda, Chef der Sozialisten & Demokraten, geißelt die Sparpolitik, die Deutschland Staaten wie Griechenland verordne. Schützenhilfe erhält Swoboda von der Deutschen Rebecca Harms. „Wir sind in einem Teufelskreis der Abwärtsbewegung“, schimpft die Grüne mit Blick auf Europas darbende Wirtschaft. „Europa wird auseinander getrieben von einer einseitigen Sparpolitik.“
Diese Vorwürfe lässt die Christdemokratin Merkel nicht auf sich sitzen. „Es wird doch keine einseitige Sparpolitik gemacht“, sagt sie. „Einige Staaten tun sich mit Wirtschaftsstruktur-Reformen viel schwerer als mit dem Sparen.“
Ein – vergiftetes - Lob erhält Merkel von einem EU-Abgeordneten aus dem traditionell europaskeptischen Großbritannien. „Ich wünschte, es gäbe mehr Staaten mit dem Sparwillen Deutschlands“, sagt der Konservative Martin Callahan. Er habe Sympathie für die deutschen Steuerzahler: „Sie bringen große Opfer, um den Euro-Währungsraum zu erhalten.“
Einsam auf der Insel
Noch ein anderer britischer EU-Abgeordnete meldet sich zu Wort, der stets gegen Europa wettert. Nigel Farrage richtet eine Bitte an Merkel, die noch am Abend von Brüssel nach London zu Premierminister David Cameron reisen wollte. „Sagen Sie Cameron: 'Verlassen Sie die EU'. Cameron hat nicht den Mut dazu.“
Doch Merkel gibt sich nicht gewillt, Farrages Bitte nachzukommen. „Ich möchte ein starkes Großbritannien in der Europäischen Union“, sagt sie. Und blickt in die deutsche Vergangenheit: „Großbritannien war dabei, als wir vom Nationalsozialismus befreit wurden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Großbritannien nicht zur EU gehört.“
Es wäre auch für die Briten nicht gut, ergänzt Merkel energisch und ganz Europapolitikerin, wenn der Inselstaat die EU verlasse. „Auf Inseln kann man sehr glücklich sein. Aber allein kann man in dieser Welt nicht glücklich werden.“