Washington. Mit Washington und Colorado legalisieren nach Volksabstimmungen zwei US-Bundesstaaten den Anbau, Kauf und Gebrauch von Marihuana in kleinen Mengen - und erwarten hohe Steuereinnahmen. Nach Bundesrecht ist die Droge allerdings weiterhin illegal - und die Obama-Regierung hält am Verbot fest
Darby Hagemann war eine von 200, die am Nikolaustag unter der „Space Needle“ mit rosigem Blick die Feuerzeuge klicken ließen und sich „wie Kinder in einem Süßigkeiten-Laden fühlten“. Am Wahrzeichen von Seattle waren die bekennenden Anhänger des gepflegten Feierabend-Joints zusammengekommen, um eine historische Premiere mit tiefen Zügen zu inhalieren. Im Bundesstaat Washington ist Marihuana künftig ein legales Genussmittel wie Tabak und Alkohol.
Die Wähler im Nordwesten der USA gaben am Tag der Präsidentschaftswahl grünes Licht für die Freigabe der weichen Droge für den Eigengebrauch. Wer mindestens 21 Jahre alt ist, darf nach der Papierform rund 30 Gramm Cannabis bei sich führen. Ohne Gefahr zu laufen, von der Polizei eingesperrt zu werden. Mit der Entscheidung soll zum einen die Entkriminalisierung von Kiffern vorangetrieben und das Unsummen verschlingende Justizvollzugssystem entlastet werden. Zum anderen erhofft sich der Fiskus des Bundesstaates millionenschwere Mehreinnahmen, weil der Stoff in staatlich lizensierten Geschäften künftig empfindlich besteuert wird; Details sind noch unklar.
Bis zu sechs Hanfpflanzen daheim können erlaubt werden
Neben Washington, nicht zu verwechseln mit der Hauptstadt, hat auch Colorado die Prohibition bei Marihuana per Volksabstimmung aufgehoben. Im Ski-Paradies-Staat muss Gouverneur John Hickenlooper den Wählerwillen ab Januar sogar so ausgestalten, dass jeder Kiffer bis zu sechs Hanf-Pflanzen daheim ziehen kann, um sich in Eigen-Regie mit dem Rauschmittel versorgen zu können. Beide Bundesstaaten betreten Neuland. Bisher war lediglich der Gebrauch von Marihuana für medizinische Zwecke, etwa zur Schmerzlinderung bei Krebs-Patienten, in 18 von 50 Bundesstaaten sowie in der Hauptstadt Washington DC zulässig.
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Die dortige Bundesregierung sieht die Entwicklung mit Argwohn. Nicht nur steht Bundesrecht den Lockerungsübungen diametral entgegen, hier ist und bleibt Marihuana ein illegales Rauschmittel. Die Obama-Regierung fürchtet auch um das Fundament ihrer international als fragwürdig geltenden Drogenpolitik, die ganz und gar auf Repression setzt, Jahr für Jahr mehr Häftlinge erzeugt, ohne jedoch den Drogen-Kartellen in Latein-Amerika den Boden zu entziehen.
Konservative sehen Marihuana als Einstiegsdroge
Konservative Politiker beider großen Parteien im Kongress erwarten, dass Justizminister Eric Holder auf Kollisionskurs mit den Kiffer-Liberalen geht und das auf Bundesebene geltende Verbot durchsetzt. „Wenn wir diese Tür nicht schnell dichtmachen, brechen schon bald alle Dämme“, sagte ein republikanischer Senator aus Texas der Zeitung „Dallas Morning Star“. Dahinter steht die auch in Europa von Legalisierungsgegnern vertretene These, dass eine Freigabe zu einer wachsenden Zahl von Süchtigen führt, die über die vergleichsweise weiche Einstiegsdroge Marihuana später zu Kokain oder Opiaten greifen.
Befürworter, die von Prominenten wie Hollywood-Regisseur Oliver Stone und der Oscar-Preisträgerin Susan Sarandon unterstützt werden, halten dem entgegen, dass der strengen Auflagen gehorchende Eigengebrauch (mindestens 21 Jahre alt, Kiffen in der Öffentlichkeit verboten, Abgabe in staatlich lizensierten Läden, Grenzwerte im Straßenverkehr analog zu Alkohol-Obergrenzen) aus kriminellen Kiffern kaufkräftige Kunden macht, die den überall klammen öffentlichen Haushalten Geld in die Kassen spülen. Die Finanzverwaltung in Denver/Colorado geht von einem „substanziellen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr aus“, berichtet der Sender NBC.
Bundespolizei könnte lizensierte Marihuana-Shops dichtmachen
Bis es so weit kommt, werden mutmaßlich noch viele Hundert Joints illegal angezündet. In Washington wie in Colorado darf sich die Bürokratie des Bundesstaates bis 2014 Zeit nehmen, um zu entscheiden, wo und wie viele Marihuana-Geschäfte öffnen dürfen und wie der Stoff kontrolliert angebaut und verarbeitet werden muss. „Wir müssen dieses Geschäft erst von der Pike auf lernen und aufbauen“, sagt Brian Smith, Sprecher der Behörde für Alkohol-Lizenzen, die künftig auch für die süßlichen Rauchschwaden zuständig ist. In Colorado kann zudem jeder Landbezirk (County) festlegen: Kommt gar nicht in die Tüte bei uns – und die Kifferei mit einem lokalen Bann belegen.
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Polizeibehörden in beiden Bundesstaaten sind einstweilen in den Abwarten-Modus geschaltet. In Seattle wurden alle 1300 Beamte angewiesen, vorläufig keine Strafzettel mehr zu schreiben, wenn auf offener Straße ein Joint glimmt. Insgeheim, so kann man Gegnern der Liberalisierung entnehmen, die sich in Internetforen kräftig zu Wort melden, hofft man auf die Zentralgewalt in Washington. Nach geltenden Gesetzen können Bundespolizei FBI oder die Drogenfahnder der DEA in Colorado wie Washington auch noch in einem Jahr bundesstaatlich lizensierte Marihuana-Shops dichtmachen und Betreiber wie Kunden strafrechtlich verfolgen.
Dass Präsident Obama, der zu Studentenzeiten bekennender Kiffer war, zu diesem Mittel greifen wird, schätzen Kenner der Quinnipiac Universität in Connecticut allerdings als eher unwahrscheinlich ein. „Das wäre ein herber Schlag ins Gesicht derer, die ihn gerade erst wiedergewählt haben und sich eine gesellschaftliche Lockerung erhoffen“, haben die landesweit anerkannten Umfrage-Profis der Hochschule herausgefunden. Danach sind 51 Prozent der Amerikaner inzwischen für eine generelle Legalisierung von Marihuana, während 44 Prozent das Verbot aufrecht erhalten wollen. Nach Berechnungen des unabhängige „Tax Policy Centers“ würde eine Freigabe von Marihuana in ganz Amerika jährlich rund neun Milliarden Dollar Steuereinnahmen bringen und die gleiche Summe im Bereich der Strafverfolgung einsparen helfen.