Washington.. Die Wähler mit Wurzeln in Lateinamerika haben mit überwältigender Mehrheit für Obama gestimmt. Damit haben sie der republikanischen Partei die Versäumnisse in der Einwanderungspolitik aufgezeigt. Deren traditionelle Wählergruppe schrumpft. Bis 2050 wird sich die Gruppe der Zuwanderer verdoppeln.
Mitt Romneys Vater wurde in Mexiko geboren. Da, wo die Eltern und Großeltern von Jonathan Melendez auch geboren sind. Der 24-jährige Sozial- und Jugendhelfer, der am Dienstagmittag in Fairfax/Virginia vor den Toren Washingtons seine Stimme abgibt, stellt den gemeinsamen geographischen Bezugspunkt mit voller Absicht her. Um zu erläutern, „warum ich die Republikaner einfach nicht wählen kann“.
Wie Melendez dachten am 6. November 2012 viele Menschen, deren Heimat Amerika ist. Obwohl ihre kulturelle Identität weiter südlich wurzelt.
72 Prozent der wahlberechtigten Latinos, der Spanisch sprechenden Minderheit, haben Präsident Barack Obama gewählt. Nur knapp 27 Prozent mochten sich für den Republikaner Mitt Romney erwärmen – weniger noch, als 2008 der Republikaner John McCain erreichte. „Diese große Lücke ist die eigentliche Sensation dieser Wahl“, sagt der Politikforscher Aaron Boesenecker von der American University in Washington, „sie offenbart ein großes Politikversagen.“ Die Republikaner hätten sich für eine große Bevölkerungsgruppe fast „unwählbar“ gemacht.
Vergebliche Mahnung von Jeb Bush
Jeb Bush, der Bruder des früheren Präsidenten Georg W. Bush, hatte es bereits vor Wochen geahnt. Auf dem Parteitag der Republikaner in Tampa hielt der ehemalige Gouverneur Floridas der „Grand Old Party“ eine seltene Gardinenpredigt. Er warb leidenschaftlich dafür, die „demographischen Verschiebungen in unserem Land“ nicht länger mit Gleichgültigkeit hinzunehmen. Oder gar mit Verachtung.
50 Millionen Latinos leben heute in den USA, rund 16 Prozent der Bevölkerung. Tendenz steigend: 2050 werden es 100 Millionen sein.
21 Millionen Latinos sind heute im wahlfähigen Alter. Weil sie in der Regel katholisch und gesellschaftspolitisch konservativ sind (in Sachen Abtreibung, Familie, Religion, Drogen etc.) sind sie eigentlich wie gemacht als Zielgruppe für die republikanische Partei.
Dass sie am Dienstag in überwältigender Zahl dem erzkonservativen Herausforderer von Barack Obama trotzdem die kalte Schulter gezeigt haben, lässt aus Sicht der „Washington Post“ auf ein „gigantisches Problem“ schließen. Dulce Matuz, die vom „Time Magazin“ jüngst zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gekürt wurde, ist eine Latina, die sich in Arizona für illegale Einwanderer-Kinder einsetzt. Sie hat es im Gespräch mit dieser Zeitung so formuliert: „Wer gegen uns ins Feld zieht, der kann nicht unser Freund sein.“
Nach der Wahl - Die Verlierer
Romney forderte Millionen auf zur Selbst-Deportation
Mitt Romney war die Speerspitze dieses Feldzugs. Im Wahlkampf forderte er pauschal jene elf Millionen auf, die illegal, aber meist gesetzestreu, in Amerika leben und die Schattenwirtschaft am Leben halten, sich doch gefälligst selbst zu „deportieren“. In etlichen Bundesstaaten, Arizona vorneweg, sind parallel dazu schikanierende Gesetze gegen Latinos und andere Minderheiten erlassen worden, die erst durch dass Einschreiten der Zentralregierung in Washington abgemildert werden konnten. „Mitt Romney hatte die Chance, den Kurs dieser kalkulierten Ausgrenzung zu ändern“, sagt Dulce Matuz, „er hat es nicht getan.“
Konnte er es nicht tun? Waren maßgebliche Gruppen dagegen? Die republikanische Partei, so analysierte gestern die „Los Angeles Times“, hat eine Wähler-Bastion, die langsam zerbröselt: den „weißen Mann“ im Alter von 50 aufwärts. In dieser Wählergruppe hat Mitt Romney fast 60 Prozent der Stimmen geholt.
Der „weiße Mann“ wird bald an Bedeutung verlieren
Das wiegt aber nicht auf, was er bei Frauen in urbanen Regionen, bei Jungwählern, Menschen aus der oberen Mittelklasse sowie Schwulen und Lesben – und eben den Latinos – verloren hat. Zudem wird die Gruppe des „weißen Mannes“ absehbar immer weniger: Schon im Jahr 2050 wird Amerika nach Angaben staatlicher Bevölkerungsforscher „ein anderes, ein dunkleres und ein asiatischeres Gesicht haben“.
Parteien, die dem nicht rechtzeitig und glaubhaft Rechnung tragen, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen, schreibt ein Kommentator im „Time“-Magazin. Und beim spanischsprachigen Fernseh-Marktführer Univision in Miami heißt es: „Hätte sich Mitt Romney einer neuen Variante des ‚Dream Acts’ verschrieben, wäre diese Wahl wahrscheinlich anders ausgegangen.“
Fremdenfeindliche Töne haben die Wähler nicht vergessen
Der „Dream Act“ (Traum-Gesetz) bedeutet eine weitreichende Reform des Einwanderungsrechts, sie hätte Millionen junger Latinos einen Pfad in die legale amerikanische Zivilgesellschaft geebnet. 2007 scheiterte bereits der Republikaner George W. Bush damit an den eigenen Leuten. Obama setzte das Gesetz erneut auf die Tagesordnung. Die Republikaner haben es im Kongress mit teilweise fremdenfeindlichen Untertönen in Grund und Boden gestimmt. Dulce Matuz: „Das haben von Kalifornien bis Florida viele von uns nicht vergessen.“
Das ist Mitt Romney
Den Republikanern nahestehende Lobbyisten gehen davon aus, dass in der Post-Romney-Phase die Schadensbegrenzung nicht lange auf sich warten lassen wird; zumal die Partei in Senator Marco Rubio (Florida) und Gouverneurin Susana Martinez (New Mexico) herausragende Talente mit Latino-Wurzeln besitzt. „Parteien lernen aus Niederlagen. Nicht aus Siegen. Vor allem zwei Niederlagen hintereinander können sehr heilsam sein“, erklärte ein Dozent der Heritage Foundation.
Erstes Nachdenken in der „Grand Old Party“
Innerhalb der konservativen Denkfabrik gibt es (noch inoffizielle) Stimmen, die der „Grand Old Party“ wenn schon keine „interne Revolution“, so doch wenigstens eine „intensive Rückbesinnung“ empfehlen. Der Umgang mit der Tea-Party-Bewegung und ihren Protagonisten, die auch in der Einwanderungspolitik radikale Außenseiterpositionen einnehmen, werde darüber entscheiden, ob eine „innere Heilung“ gelingen kann.
Jonathan Melendez, der wie Mitt Romneys Vater mexikanische Wurzeln hat, wartet auf ein Signal. 2016 wird wieder gewählt.