Berlin. . Wenn ein Arbeitsloser Tätigkeiten ablehnt, dann kann die Arbeitsagentur die Leistungen für ihn kürzen. Die NRW-Grünen wollen diese Regelung abschaffen - und fordern statt Drohungen und Strafen „Motivation, Anerkennung und Beratung auf Augenhöhe“.
Seit zwei Wochen ernährt sich Ralph Boes von Wasser, Brühe und Saft. „Aus Versehen“ hat der Berliner auch Zitronenkerne verschluckt. Der Hartz-IV-Bezieher macht einen Streik, den er „Sanktionshungern“ nennt. Denn dem 55-Jährigen hat die Arbeitsagentur die Bezüge um 90 Prozent gekürzt, weil er Stellenangebote vom Jobcenter in den Wind geschlagen hat. So lebt Boes nach eigenen Worten von 37,50 Euro im Monat.
Mit dem Sanktionshungern will Boes auf die Hartz-Gesetze aufmerksam machen, die er für verfassungswidrig hält. Weil Arbeitslose gezwungen würden, „sinnentleerte“ Tätigkeiten zu verrichten. Vor diesem Hintergrund wird Boes höchst erfreut sein über die Schützenhilfe, die nun von Rhein und Ruhr kommt. So wollen NRW-Grüne um Landeschef Sven Lehmann die Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher abschaffen. Dies geht aus einem Antrag hervor, über den die Grünen-Delegierten auf dem Bundesparteitag in Hannover am Wochenende abstimmen sollen. Zu den Antragstellern gehört auch NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens.
Besonders hart für Jugendliche
„Wir wollen eine sanktionsfreie Grundsicherung und ein Ende der Praxis von Androhung und Bestrafung, die in vielen Jobcentern und Arbeitsagenturen Realität ist“, steht darin. Stattdessen setze man auf „Motivation, Anerkennung und Beratung auf Augenhöhe“. Dies fördere die Motivation von Leistungsempfängern, einen Job anzunehmen, sagte Lehmann.
Langzeitarbeitslose müssen mit Strafen rechnen, wenn sie eine zumutbare Arbeit ablehnen, Gespräche beim Arbeitsvermittler platzen lassen oder eine vom Jobcenter bezahlte Aus- oder Fortbildung abbrechen. Für Jugendliche unter 25 Jahre sind die Strafen noch härter. Bei einer Pflichtverletzung wird ihnen in der Regel die gesamte Barleistung gestrichen, im Wiederholungsfall auch die Miete. Dabei gibt es immer mehr Sanktionen (siehe Grafik). In diesem Jahr wurde erstmals die Millionenmarke geknackt.
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Schon lange rüttelt die Opposition an den Strafen für Hartz-IV-Bezieher. Die Linke will sie ganz abschaffen. Die Grünen fordern – wie auch im Leitantrag zur Sozialpolitik für den Parteitag – ein Sanktionsmoratorium. Auch die SPD-Fraktion ist für eine Korrektur. „Bei den Sanktionen muss unbedingt etwas passieren, wir fordern von der Bundesregierung eine generelle Überprüfung“, sagt SPD-Sozialexpertin Gabriele Hiller-Ohm der WAZ Mediengruppe. So müsse das verschärfte Sanktionsrecht für Jugendliche unter 25 Jahren abgeschafft werden. Und eine Kürzung der Hartz-IV-Leistungen dürfe auf keinen Fall in das Existenzminimum eingreifen – eine Absenkung der Bezüge um mehr als 30 Prozent sei deshalb problematisch. Ob allerdings eine Abschaffung der Sanktionen die Lösung sei, halte sie für sehr fraglich, sagte Hiller-Ohm mit Blick auf den Lehmann-Antrag. Die Jobcenter bräuchten die Möglichkeit zum Eingreifen. Ähnlich sieht es NRW-Sozialminister Guntram Schneider, ebenfalls SPD: „Wo es um rein formale Verstöße geht, kann man auf Sanktionen verzichten“, sagte er der WAZ Mediengruppe. Bei schweren Verstößen – etwa, wenn Leistungsbezieher schwarz arbeiteten – müsse es aber auch weiterhin Sanktionen geben.
Von den Grünen mit eingeführt
Lob bekam Lehmann von Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum. „Die entwürdigende Sanktionswut in den Jobcentern hat mittlerweile ein unerträgliches Ausmaß angenommen und ist durch nichts zu rechtfertigen“, sagte Behrsing. „Der Antrag der NRW-Grünen geht in die richtige Richtung“, meinte der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Er sei aber eher für ein Moratorium. „Die Sanktionen sollten ausgesetzt werden, dann sollten die Erfolge der repressionsfreien Unterstützung überprüft werden.“
Pikant ist der Antrag von NRW-Grünenchef Lehmann auch vor dem Hintergrund, dass die Ökopartei seinerzeit die Strafmaßnahmen mit eingeführt hat. Dazu zählten die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt.