Berlin/Essen. Hartz-IV-Empfänger, die Jobangebote ablehnen oder nicht mit ihrem Jobcenter kooperieren, bekommen weniger Geld vom Staat. Die NRW-Grünen wollen das ändern: Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger würden ein menschenwürdiges Existenzminimum gefährden, sagt Landeschef Sven Lehmann.

Die NRW-Grünen wollen die Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher abschaffen. Dies geht aus einem Antrag unter Federführung von Landeschef Sven Lehmann hervor, über den die Delegierten auf dem Bundesparteitag in Hannover am Wochenende abstimmen sollen.

„Wir wollen eine sanktionsfreie Grundsicherung und ein Ende der Praxis von Androhung und Bestrafung, die in vielen Job-Centern und Arbeitsagenturen Realität ist“, steht in dem Antrag. Stattdessen setzen die NRW-Grünen auf „Motivation, Anerkennung und Beratung auf Augenhöhe“.

Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gefährden ein menschenwürdiges Existenzminimum"

Dies fördere die Motivation von Leistungsempfängern, einen Job anzunehmen, sagte Lehmann gegenüber der WAZ Mediengruppe. Sanktionen hingegen gefährdeten den kooperativen Charakter des Fallmanagements und ein menschenwürdiges Existenzminimum. „Außerdem ist die Wirksamkeit von Sanktionsandrohungen nirgendwo belegt“, sagte Lehmann. „Es ist nicht nachgewiesen, dass durch schärfere Sanktionen Langzeitarbeitslosigkeit verhindert werden kann.“

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Langzeitarbeitslose müssen grundsätzlich mit Strafen rechnen, wenn sie beispielsweise eine zumutbare Arbeit ablehnen. Dies droht ihnen auch, wenn sie mehrfach vereinbarte Gespräche beim Arbeitsvermittler platzen lassen oder wenn sie eine vom Jobcenter bezahlte Aus- oder Fortbildung einfach so abbrechen. In den vergangenen Jahren hat sich die Anzahl der Sanktionen immer weiter erhöht. Wurden 2007 nur 2,3 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger bestraft, waren es im vergangenen Jahr bereits 3,2 Prozent. In NRW lag die Quote zuletzt bei 3,4 Prozent in Bezug auf alle erwerbsfähigen Leistungsbezieher.

Vor wenigen Wochen hat die Bundesagentur für Arbeit bekannt gegeben, dass allein in der ersten Jahrshälfte mehr als 520.000 Sanktionen verhängt wurden. Sie reichen von einer Kürzung der Arbeitslosengelder von zehn Prozent bis zu 60 Prozent bei Wiederholungstätern.

Sozialverband beklagt "entwürdigende Sanktionswut in den Jobcentern"

„Die entwürdigende Sanktionswut in den Jobcentern hat mittlerweile ein unerträgliches Ausmaß angenommen und ist durch nichts zu rechtfertigen“, sagte Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland. So sei eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe nicht möglich. „Der Antrag der NRW-Grünen geht in die richtige Richtung“, sagte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. Er sei aber eher für ein Moratorium. „Die Sanktionen sollten ausgesetzt werden, dann sollten die Erfolge der repressionsfreien Unterstützung überprüft werden“, sagte Butterwegge weiter. In diese Richtung zielt auch der Leitantrag des Grünen-Bundesvorstands, der ein „Sanktionsmoratorium“ fordert.

Pikant ist der Grünen-Antrag auch vor dem Hintergrund, dass die Ökopartei seinerzeit die Strafmaßnahmen mit eingeführt hat. Dazu zählten damals auch die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt, die die Sanktionen inzwischen für einen Fehler hält. Sollten die gut 800 Delegierten auf dem Parteitag den Antrag durchwinken, wäre dies auch ein Signal an mögliche Koalitionspartner. Allem voran eine Ampel schiene damit ausgeschlossen. Denn dass sich die FDP auf eine Arbeitsmarktpolitik ohne Sanktionen einlässt, ist so gut wie ausgeschlossen.