Essen. . Es sind Tage des Protests auf den Straßen und Plätzen Südeuropas. In Frankreich, Spanien, Italien und Portugal protestieren Zehntausende gegen den Sparkurs der Regierung. Drohen dort griechische Verhältnisse? Unsere Korrespondenten in Paris, Rom und Madrid analysieren die Lage in den drei Ländern, die zu den nächsten Euro-Sorgenkindern werden könnten.

Spanien, Portugal, Italien und Frankreich – in Südeuropa gehen die Menschen auf die Straßen. Sie haben in der Euro-Krise Angst ebensolch harte Einschnitte erleiden zu müssen, wie ihre griechischen Nachbarn. Die Kritik an der deutschen Regierung ist groß. Der Sparkurs Angela Merkels wird vielerorts für die eigene Misere verantwortlich gemacht.

Vor allem Frankreich, neben Deutschland einer der beiden Pfeiler des Euroraums und der Europäischen Union, steht am Scheideweg. Für alle drei Staaten gelten die bangen Fragen: Greifen die dort inzwischen eingeleiteten Reformen? Wie weit akzeptieren die Menschen die teils äußerst schmerzhaften Spareinschnitte? Und gibt es schon Anzeichen für eine Erholung der Wirtschaft? Lesen Sie dazu die Analysen.

Frankreich: Hollandes Zick-Zack-Kurs

Champagner-Laune adieu. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU zählt Frankreich zwar zu den wuchtigen Stützpfeilern des Binnenmarkts – und somit des Vereinigungswerkes. Doch nun droht das an sich sehr vitale Land zum neuen „kranken Mann Europas“ abzusteigen.

Binnen fünf Jahren ist die Arbeitslosigkeit von zwei auf drei Millionen ( plus 50 Prozent) gestiegen. Besonders erschreckend: die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 25 Prozent. Düster sind auch die Wachstumsprognosen für 2013. Das ehrgeizige Ziel, die Drei-Prozent-Defizitgrenze einzuhalten, gerät in Gefahr. Hinzu kommt der Verlust der Top-Bonität.

In Frankreichs Hafenstadt Marseille waren viele Menschen dem Aufruf von Gewerkschaften gefolgt, um gegen die europäische Sparpolitik zu protestieren.
In Frankreichs Hafenstadt Marseille waren viele Menschen dem Aufruf von Gewerkschaften gefolgt, um gegen die europäische Sparpolitik zu protestieren. © REUTERS

Gern versucht die neue sozialistische Regierung, die Malaise auf Versäumnisse der Ära Chirac/Sarkozy und die Schuldenkrise zu schieben. In Wirklichkeit wird Frankreich von einer tiefen strukturellen Krise erschüttert, die weitgehend hausgemacht ist. Von der wachsenden Luxusgüterindustrie abgesehen ist das Land auf dramatische Weise dabei, seine industrielle Basis zu verlieren. Jährlich gehen 50 000 Arbeitsplätze verloren, Un­ternehmen schließen oder wandern ins Ausland ab. „Made in France“ genießt in der Welt zunehmend ein schlechtes Image.

Der sozialistische Staatschef François Hollande, seit sechs Monaten im Amt, probiert es mit einer Therapie, die dem Patienten nicht weh tun soll. „Zick-zack“ nennt der „Figaro“ diese Unordnung.

Mal schnürt Hollande ein Paket, das 20 Milliarden Euro Steuererhöhungen vorsieht, dann entlastet er die Unternehmer um 20 Milliarden Euro bei den Sozialabgaben. Gleich nach der Wahl kippte er die Mehrwertsteuer-Erhöhung, um Monate später doch noch eine Anhebung für 2014 anzukündigen.

Fazit: Hollande hat noch nicht Tritt gefasst. Er muss schnell Arbeitsmarkt und Sozialsysteme modernisieren. Viele im Land sehen Gerhard Schröders Agenda 2010 als Vorbild.

Spanien muss noch Opfer bringen

Die Lage an der Krisenfront ist gespannt, die Bevölkerung frustriert. Die Massenproteste sind ein Warnsignal, dass Geduld und Leidensfähigkeit vieler Spanier am Ende sind. Und dass sich das Klima weiter aufladen wird, wenn die Spar-Axt ohne Augenmaß angesetzt wird.

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Immer neue Kürzungen bei Renten und Löhnen, bei Bildung, Gesundheit und Sozialleistungen verschärfen die Not. Jede vierte Familie in Spanien lebt unterhalb der Armutsschwelle. Jeder Zweite unter 25 Jahren ist ohne Job.

Zugleich wird die Wut durch den Ansehensverlust der Politiker genährt, welche die öffentlichen Kassen in den letzten Jahren regelrecht geplündert, Steuergeld massiv vergeudet oder sogar veruntreut haben. Und die nun, da die Kassen leer sind, vor allem vom kleinen Mann fordern, Opfer zu bringen.

Fazit: Eine Erholung kann nur gelingen, wenn die Politiker glaubwürdig und mit persönlicher Opferbereitschaft voran gehen.

Italien droht Rückfall in unsolide Zeiten

Ein Jahr regiert der „Technokrat“ Mario Monti in Italien. Und immer war es ruhig im Land. Auch wenn der harte Sparkurs, mit dem Monti den Haushalt krisenfest gemacht hat, bei den Bürgern als „Belastung pur“ ankommt – Massenproteste wie in Griechenland hat es nicht gegeben. Bis gestern, als Tausende vor allem junge Menschen auf die Straßen gingen; in Rom kam es zu Verwüstungen.

Dennoch: Das Volk vertraut immer noch dem Regierungschef. Montis Integrität steht im krassen Gegensatz zu den Skandalen der politischen Parteien; durch ihn – psychologisch nicht zu unterschätzen – sieht sich Italien in Europa wieder geachtet. Zwar zeigen Montis unvollendete Reformen noch keine positiven Folgen; Italien ist in der Rezession. Es fühlt sich aber auf sicherem Kurs.

Fazit: Montis Reformkurs muss fortgesetzt werden. Aber im April wird gewählt. Erobert die alte Polit-Kaste die Macht zurück, droht ein Rückfall in unsolide Zeiten.