Essen. . Immer mehr Fälle, immer neue Programme zur Kriminalitätsbekämpfung von der NRWLandesregierung. Dabei ist jeder zweite Beamte in Nordrhein-Westfalen schon über 50: Die Polizeigewerkschaften sprechen von einem gravierenden Personalproblem. Fakt ist offenbar: Die Polizei pfeift aus dem letzten Loch.
Und immer noch einen Fall obendrauf: In den Polizeiwachen in Nordrhein-Westfalen gärt Frust. Keine Zeit für Einbrecher, für Drogendealer, für Handtaschenräuber. Denn wichtig sind heute die großen Themen. „NRW legt immer neue Programme auf gegen Neonazis, Rocker, Salafisten, Computer-Kriminalität. Das ist auch völlig in Ordnung. Aber wegen dieser Aktionen müssen wir leider die Alltagsarbeit vernachlässigen“, sagt Wilfried Albishausen.
Er ist seit fast 40 Jahren Polizist, und er ist Chef des Bundes der Kriminalbeamten (BDK) in NRW. Kripoleute wie er sind Stress gewöhnt: Überstunden, Wochenendarbeit, Umgang mit unfreundlichen Zeitgenossen. Aber so hart, beteuert Albishausen, waren die Zeiten für die Beamten noch nie. Um ihren Job vernünftig machen zu können, bräuchten sie neue Kollegen. „2000 Kriminalpolizisten mehr“ fordert Albishausen.
Wenn einer durch Fachwissen auffällt, ist er bald weg
Mit ihm ist Michael Sandkühler, Bezirksvorsitzender des BDK in Recklinghausen, in die Redaktion der WAZ-Mediengruppe gekommen. Der altgediente Kriminalhauptkommissar schiebt 150 Überstunden vor sich her. Und ist damit noch fein raus. „Ich kenne Kollegen, die haben 800“, sagt Sandkühler. Seine Kollegen müssten heute „Mädchen für alles“ sein. Sie jagen Räuber, Schutzgelderpresser, kleine und große Fische, werden zwischendurch mal zur Demo abgestellt, zum Bundesliga-Fußball oder zum Rosenmontagszug. Im Büro wartet Bürokratie. Alles muss akribisch in diverse EDV-Programme eingetippt werden. „Allein für die Anzeigenaufnahme wegen Beleidigung braucht man locker eine Dreiviertelstunde“, so Albishausen.
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Und wenn ein Kollege durch Fachwissen auffällt, dann ist er bald weg. „Das Land hat zum Beispiel ein Kompetenzzentrum für Computer-Kriminalität eingerichtet. Gleichzeitig wurde bei uns in Recklinghausen eine solche Stelle gestrichen. Die besten Kollegen aus den Kreispolizeien werden für Spezialaufgaben abgeworben, aber es rückt niemand nach“, erklärt Sandkühler.
Nur 60 Minuten pro Einbruchsdelikt
Konsequenz: Die Fälle bilden zunächst kleine Stapel auf den Schreibtischen und daraus werden hohe Türme. Bestes Beispiel: Einbrecher. „Für die Aufklärung eines Einbruchs bleiben Ermittlern im Schnitt nur 60 Minuten Zeit“, sagt Wilfried Albishausen. Für den Besuch des Tatortes, für Zeugen, Spurensicherung, Fahndung. Dabei kommt meist nicht viel heraus. Ein Beamter aus dem Ruhrgebiet erzählt, dass tatsächlich in nur zwei Prozent der Fälle am Ende ein Einbrecher verurteilt werde.
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Zwei von drei Einbrechern, rechnen Kriminalbeamte hoch, stammen aus Osteuropa. Sie klauen heute in der einen und morgen in einer anderen Stadt. So gut wie kein Zeuge erkennt diese Täter auf Fotos wieder. Und nicht einmal Fingerabdrücke und DNA-Spuren bringen die Ermittler weiter.
DNA-Spuren und Fingerabdrücke bringen die Ermittler nicht weiter
Ein Beamter, der sich seit vielen Jahren mit Einbrüchen beschäftigt, beziffert die Erfolgsquote bei Fingerabdrücken und DNA auf zwei Promille. Für eine sichere DNA-Spur brauche man Blut oder Speichel. Aber Einbruch-Profis spucken nicht auf den Boden, und sie hinterlassen auch keine Zigarettenkippen am Tatort.
Außerdem, so heißt es, liegen die DNA-Spuren beim Landeskriminalamt regelrecht auf Halde. „Die konnten bisher nicht schnell abgearbeitet werden. Das Landeskriminalamt hat noch nicht genug Personal dafür, obwohl sich die Situation schon sehr gebessert hat. Die Wartezeit liegt heute bei vier Monaten. Das Problem ist aber, dass Tatverdächtige oft nur zwei, drei Monate in Untersuchungshaft sitzen“, meint Albishausen. Wenn die DNA-Spur endlich zugeordnet werden könne, sei der Täter schon über alle Berge.
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In Recklinghausen gelinge es der Kripo immerhin, prozentual etwa doppelt so viele Einbrecher zu ermitteln als im Landesschnitt. „Es gibt bei uns eine eigene Ermittlungsgruppe für Einbrüche“, erklärt Michael Sandkühler. „Aber diese Kollegen fehlen dann natürlich woanders.“
Die härtesten Jahre stehen noch bevor
In Essen, heißt es, habe die Kripo eine acht Beamte starke Einsatzgruppe, die jederzeit auf Verbrecherjagd gehen könne. „Solche operativen Kräfte sind der größte Quotenbringer, weil sie Täter auf frischer Tat erwischen können“, sagen die BDK-Experten. Aber auch in der Metropole Essen sei die Personaldecke zu dünn.
Wilfried Albishausen vermutet, dass der Kripo die härtesten Jahre noch bevorstehen: „In den nächsten zehn Jahren wird jeder zweite der 8300 Kriminalbeamten im Land in den Ruhestand gehen. Nur zwei Prozent der Kollegen sind unter 30.“