Berlin. . Der Unions-Fraktionschef erklärt im Interview die Knackpunkte der Regierungskoalition und warum er glaubt, dass sich CDU und FDP trotz der vielen unterschiedlichen Positionen bei Praxisgebühr, Zuschussrente und Ehegattensplitting am Sonntag doch wieder zusammenraufen werde.
Die Praxisgebühr, vor acht Jahren eingeführt, wird abgeschafft. Das zeichnet sich vor dem Koalitionsgipfel am Sonntag in Berlin ab. Während Unions-Fraktionschef Volker Kauder im WAZ-Gespräch „große Bedenken“ anmeldete, will die FDP das Ende der Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal einläuten. Die Liberalen stehen nicht allein da. Für die SPD forderte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am Freitag im Bundesrat, die Praxisgebühr zu streichen. Wie es heißt, will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die FDP zugehen.
Volker Kauder machte deutlich, was auf dem Spiel steht: Die Koalition müsse am Sonntag zeigen, dass sie handlungsfähig sei: „Wir wollen die offenen Fragen vor der Weihnachtspause abräumen.“ Das setzt bei der FDP voraus, dass sie dem umstrittenen Betreuungsgeld zustimmt.
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Das Gesetz dazu kann nach Angaben Kauders nicht mehr planmäßig zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. „Nachdem wir schon November haben, ist der Zeitplan nicht zu halten“, sagte Kauder. Das Betreuungsgeld müsse noch den Bundesrat passieren. Zudem brauche die Verwaltung eine Vorlaufzeit. „Das Betreuungsgeld kann frühestens zum 1. April 2013 kommen“, kündigte er an.
Ein harmonisches Bild gab die schwarz-gelbe Koalition selten ab. Am Sonntag probieren die Partner einen Neustart – den wievielten eigentlich? Die FDP passe zur Union „viel besser“ als andere Parteien, versichert Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Über seinen FDP-Partner Rainer Brüderle kann er nur sagen: „Auf ihn ist Verlass“. Mit Kauder sprach die WAZ über den Alles-wird-gut-Gipfel.
Herr Kauder, was kostet ein Vortrag von Ihnen?
Volker Kauder: Nichts. Ich könnte sagen: Ich bin einfach unbezahlbar.
Hat die Koalition Peer Steinbrück eine Falle gestellt?
Kauder: Wir haben gute Regeln für Transparenz. Sonst gäbe es nicht die Debatte über seine Nebeneinkünfte. Er hat die 1,25 Millionen Euro offengelegt. Die Bürger werden sich ihre Meinung bilden. Damit ist das Thema für mich erledigt.
Steinbrück sagt, der Stein, der auf ihn geworfen wird, kommt als Bumerang zurück.
Kauder: Im tiefsten Grund seines Herzens ist er verunsichert. Er hat Kasse zu einem Zeitpunkt gemacht, als er selber nicht mehr damit gerechnet hat, wieder auf die große Bühne zu kommen. Jetzt hat er ein Problem mit der SPD.
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Er listet seine Einkünfte auf Euro und Cent auf - warum ist das für die Union kein Maßstab?
Kauder: Wir haben einen Vorschlag für eine genauere Erfassung der Nebeneinnahmen vorgelegt. Auf der anderen Seite müssen aber auch die Rechte der Abgeordneten gesehen werden. Normalerweise wird niemand gezwungen, seine Einkünfte öffentlich zu machen. Schon nach unserem Vorschlag wird den Parlamentariern viel abverlangt.
Sonntag treffen sich Union und FDP im Koalitionsausschuss. Was ist Ihr Ziel?
Kauder: Wir wollen die offenen Fragen vor der Weihnachtspause abräumen. Die Koalition muss zeigen, dass sie handlungsfähig ist - und das wird sie auch.
Picken wir uns einen Punkt heraus, die Praxisgebühr. Die FDP will sie abschaffen. Haben Sie ein Problem damit?
Kauder: Grundsätzlich halte ich eine Selbstbeteiligung für durchaus sinnvoll und auch notwendig. Darum habe ich große Bedenken, die Praxisgebühr abzuschaffen. Wir könnten sie gut für die Verbesserung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum nutzen.
Warum das Betreuungsgeld noch mehr Zeit braucht
Das Betreuungsgeld ist ein zähes Unterfangen. Können Sie, wie geplant, zum 1. Januar 2013 „liefern“?
Kauder: Nachdem wir schon November haben, ist der Zeitplan nicht zu halten. Das Gesetz muss in den Bundesrat, die Verwaltung braucht für die Umsetzung eine Vorlaufzeit. Das Betreuungsgeld kann frühestens zum 1. April 2013 kommen.
Ist die Zuschussrente vom Tisch?
Kauder: Wir werden eine Antwort auf die Frage geben müssen, wie man in 20 Jahren Altersarmut verhindern kann. Das ursprüngliche Modell der Zuschussrente wirft viele Fragen auf. Wir müssen einen anderen Weg finden.
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Zum Beispiel, Kindererziehungszeiten bei der Rente stärker gewichten.
Kauder: Das würde ich begrüßen. Aber das geht ins Geld. Die Rechnungen gehen von drei bis sieben Milliarden Euro aus. Sieben Milliarden sind nicht zu stemmen. Schließlich wollen wir die Neuverschuldung so weit es geht zurückführen. Eines kommt sicher: Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente.
Warum sollen Niedrigverdiener privat Vorsorge leisten, wenn der Ertrag bei der Grundsicherung angerechnet wird?
Kauder: Das ist ein Punkt, der in der Tat korrigiert werden sollte. Ich bin dafür, einen Teil, etwa 100 Euro im Monat, nicht anzurechnen. Das kostet den Staat auch Geld, aber es wäre eine weiterer Anreiz, Vorsorge zu betreiben.
Soll das Ehegattensplitting auch für gleichgeschlechtliche Paare gelten. Verstehen Sie das Anliegen der FDP?
Kauder: Ich nehme das zur Kenntnis. Das Ehegattensplitting ist dafür aber nicht geeignet. Wir sollten es nicht machen. Es ist sowieso Gegenstand einer Klage in Karlsruhe. Warten wir mal ab, was die Verfassungsrichter entscheiden.
Statt 2016 wollen viele schon 2014 einen ausgeglichenen Etat vorlegen. Ist das realistisch?
Kauder: Wir werden uns das anschauen. Allerdings müssen wir sehen, dass wir in dem europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM noch Kapital anlegen müssen.
Warum wird überhaupt über ungelegte Eier gegackert?
Kauder: Man muss sich Ziele setzen. Das wirkt auch disziplinierend auf Ausgbewünsche.