Berlin. . Vor einem Jahr enterten die Piraten das Berliner Parlament. Das löste ein wahnsinniges Medienecho und eine riesige Sympathiewelle aus. Vom Hype um die jungen Wilden ist heute nicht mehr viel zu spüren. Die Partei hat sich durch Machtkämpfe, Rücktritte und skurrile Auftritte entzaubert.
Es könnte ein Tag zum Feiern sein. Vor einem Jahr nahmen die Piraten im Berliner Parlament ihre Arbeit auf. Danach startete der Siegeszug der Neulinge durch die Landtage. In Schampuslaune werden sich heute dennoch die wenigsten „Freibeuter“ befinden. Binnen zwölf Monaten haben sie in der Hauptstadt mehr laue Luft als frischen Wind produziert. Schlimmer noch: Im Bund schippern die Piraten auf Kenter-Kurs.
„Die Bilanz der Berliner Piraten fällt eher dürftig aus“, urteilt der Politologe Stephan Klecha. 63 Anträge, 170 Kleine und drei Große Anfragen haben sie ins Abgeordnetenhaus eingebracht. Die Grünen kamen auf doppelt so viele. Wiederholt sorgten die Neuparlamentarier dagegen für Aufregung. Landeschef Hartmut Semken musste wegen verqueren Links-Rechts-Vergleichen den Hut nehmen, Abgeordnete stellten Lebenspartner als Mitarbeiter ein und Piraten-Wortführer Christopher Lauer sorgte mit Pöbel-Reden im Parlament für reichlich Unmut.
Nur kleine Erfolge
Einige Erfolge konnten die Piraten dennoch erzielen. Sie verhinderten eine Späh-Software, die auf Schulservern nach Raubkopien suchen sollte. In anderen Punkten, etwa zu den S-Bahn-Problemen, hörte man aber wenig. Dennoch halten sich die Freibeuter in Berlin bei zehn Prozent. Das 15-Prozent-Hoch vom Mai aber hat sich verflüchtigt. Auch in bundesweiten Umfragen ist die Partei abgestürzt.
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Sicher, der Hype war kaum konservierbar. Es ist auch nicht allein Schuld der Piraten, dass sich die Stimmung verändert hat. Doch mit peinlichen Auftritten und ihrer zerstrittenen Parteispitze haben sie an ihrer Entzauberung kräftig mitgearbeitet.
Mit Marihuana erwischt
Unter heftigem Beschuss steht etwa der politische Geschäftsführer Johannes Ponader. Der Lebenskünstler mit dem 1,0-Abi hat mit seinem Abschied von den Hartz-IV-Bezügen und bizarren TV-Auftritten Wirbel erzeugt. Zuletzt ließ sich der Jesuslatschenträger in einer Talkshow die Zehen massieren. Erboste Vorstandskollegen versuchten, Ponaders mediale Präsenz zu drosseln. Prügel kassierte der 35-Jährige für den Plan, sein Grundeinkommen durch Spenden von den Mitgliedern zusammenzukratzen.
Der Chef der Piraten-Partei Bernd Schlömer sieht die Möglichkeit zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Ponader skeptisch. "Ich führe Gespräche mit ihm, aber meine Empfehlungen und Hinweise erreichen ihn nicht", sagte Schlömer der "Bild am Sonntag". Auf die Frage, ob Ponader zurücktreten müsse, sagte Schlömer: "Der Ball liegt im Feld von Johannes Ponader."
Weit vorn im Pannen-Ranking stehen auch Parteivize Markus Barenhoff, den die Polizei mit Marihuana erwischte, sowie Vorstandsmitglied Julia Schramm. Ein verheerender Shitstorm brach über die Urheberrechtskritikerin herein, als sie ihr Buch „Klick mich“ veröffentlichte und ihr Verlag illegale Kopien im Netz sperren ließ – obwohl die Piraten doch sonst an vorderster Front für totale Schrankenfreiheit im Internet streiten.
Rücktritte in der Führungsspitze
Am Freitag kündigte Schramm ihren Rücktritt als Beisitzerin im Bundesvorstand an. Auch Matthias Schrade, ein weiterer Spitzenpirat aus dem Bundesvorstand, verzichtet auf sein Amt. Die Piraten im Zustand der Selbstauflösung.
Völlig unklar ist, wer die Piraten in ruhigeres Fahrwasser geleiten könnte. Seitdem Marina Weisband ins zweite Glied gerückt ist, haben die Piraten kein Vorzeigegesicht an der Spitze. „Es fehlen Leute, die das Format mitbringen“, sagt Klecha und nennt nur Lauer als Kandidaten für Höheres.
Doch der ruppige Berliner Fraktionschef ist bei den Piraten so umstritten, wie einst Joschka Fischer bei seinen Grünen. Immerhin könnte Lauer die Freibeuter wortgewandt vertreten, was hilfreich wäre. „Schließlich zählen in einer parlamentarischen Demokratie auch Personen“, sagt Klecha.
Lücken im Programm
Doch auch beim Inhalt hapert es. Auf ihrem Parteitag wollen sie endlich Lücken im Grundsatzprogramm schließen, in dem wenig bis nichts zu Europa oder Finanzen zu finden ist. Probleme bereiten Geldnöte und die Abstimmungssoftware Liquid Feedback, die die Meinung der Mitglieder einholen soll. Hinzu kommt, dass die Piraten ihre Sympathisanten zu wenig einbinden. Dies ist heikel, weil die Partei bei vielen Protestwählern punktet.
Ein wenig Rückenwind könnte nun aber aus Berlin kommen. Denn dort wartet auf den Piraten Martin Delius als Leiter des Untersuchungsausschusses zur geplatzten Eröffnung des Berliner Großflughafens eine Art Reifeprüfung. Arbeitet er solide und öffentlichkeitswirksam, wäre dies eine Chance, das zerkratzte Image etwas aufzupolieren.