Berlin. Angela Merkel und Peer Steinbrück sind überzeugte Europäer. Die Rettungsschirme haben sie sogar gemeinsam beschlossen. Dennoch haben beide ihre eigenen Visionen vom Zusammenleben auf dem Kontinent. In ihrem ersten Rededuell haben die Kanzlerin und ihr SPD-Kontrahent skizziert, wohin nach ihrer Meinung die EU-Reise gehen soll.
Ihre Marschroute in der Euro-Krisenpolitik skizziert die Kanzlerin so: Es handele sich um eine Verschuldungskrise, die im Kern eine Vertrauenskrise sei – das Problem sei nicht über Nacht gekommen, deshalb werde es auch nicht über Nacht gelöst.
Angela Merkel sucht die Lösung „in einem Prozess aufeinander folgender Schritte“ und mahnt gern, Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit. Aktuell heißen die nächsten Etappen: In der Euro-Zone mehr Zusammenarbeit vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, die ein EU-Gipfel im Dezember beschließen soll. Und für Krisenländer Hilfen aus den Rettungsschirmen nur gegen strenge Spar- und Reformauflagen.
Aus Sicht ihrer Kritiker hat die Kanzlerin indes bei ihren Spar-Forderungen an Krisenländer zeitweise übertrieben – und auch keine verlässliche Marschroute: Immer wieder hat sich Merkel tatsächlich korrigieren müssen. Eine deutsche Beteiligung an Hilfen für Griechenland lehnte sie anfangs lautstark ab. Auch den lange verweigerten Schuldenschnitt für Athen trug Merkel erst bei einer entscheidenden Wende im Juli 2011 mit.
Die zögerliche Haltung hat die Griechenland-Krise, Anfang aller Euro-Unruhen, wohl noch verschärft und in Deutschland lange die Illusion erzeugt, der Steuerzahler bleibe verschont. Merkels Kurs hat andererseits auch verhindert, dass ohne klare Auflagen Geld an die Krisenländer ausgeschüttet oder mit Eurobonds die Gemeinschaftshaftung eingeführt wird.
So ging es weiter. Zuletzt beim Gipfel im Juni, als Merkel auf Druck aus Paris und Rom neuen Bankenhilfen zustimmen musste, bei ihrer Zustimmung zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone, oder ihrer Unterstützung für die Hilfen der Europäischen Zentralbank: Deren Aufkauf von Staatsanleihen ist für Kritiker eine gemeinschaftliche Schuldenhaftung durch die Hintertür.
Merkels Europa - ohne Leidenschaft
Zu Recht sieht es Merkel andererseits als Erfolg an, dass der Fiskalpakt – die Vereinbarung zu strenger Schuldendisziplin – auf beharrlichen deutschen Druck zustande kam. Ihr Finanzminister ist dabei eine Art Minenhund, der die Akzeptanz von Forderungen testet. Wolfgang Schäuble indes treibt die Idee an, die EU rasch zu einer Politischen Union auszubauen mit viel mehr Kompetenzen für Brüssel.
Da bleibt Merkel vage. Sie lobt Europa zwar als Friedensidee, von einer Verfassungsänderung für „mehr Europa“ hält sie aber aktuell wenig. Die Europa-Leidenschaft, die die Väter des Euro antrieb, teilt Merkel nicht.
Peer Steinbrück hält die Krisen-Analyse der Kanzlerin für falsch – und deshalb auch ihre Politik gegen die Euro-Krise für teilweise verfehlt: Merkel verstehe die Probleme als Verschuldungskrise, das sei aber nur Teil der Wahrheit. Tatsächlich lägen den Fehlentwicklungen auch „strukturelle Ungleichgewichte“ in Europa zugrunde. Starker Norden, schwacher Süden: Merkels „einseitiger Therapie“, den Krisenländern einen Sparkurs zu verschreiben, sei falsch. Im Bundestag verwies der SPD-Politiker gestern warnend auf die rigide Sparpolitik des früheren Reichskanzlers Heinrich Brüning, die zum Niedergang der Weimarer Republik beigetragen hatte: „Not zerstört Demokratie“.
Steinbrücks Europa - mit ein neuem Marshallplan
Steinbrück wirbt seit langem für eine breitere Krisenbekämpfung: Neben einem Konsolidierungskurs sei eine umfassende europäische Wachstumspolitik erforderlich. Es geht um Milliardenprogramme für Wirtschaft und Infrastruktur, mit denen vor allem der Süden wieder auf Wachstumskurs gebracht werden soll. In der SPD ist vom „Marshallplan“ die Rede, der über eine Finanztransaktionssteuer finanziert würde.
Aber nicht nur: Steinbrück mahnt schon, Deutschland müsse in Europa als seine Zukunft investieren, so wie es in die Wiedervereinigung investiert habe. Mehrkosten erwartet er bereits bei der Hilfe für Griechenland, womöglich sei ein drittes Hilfspaket notwendig – worauf die Bundesbürger frühzeitig vorzubereiten seien. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro müsse auf jeden Fall verhindert werden. Das sieht inzwischen auch Merkel so. Was die akute Krisenreaktion anbelangt, sind die Unterschiede zwischen Regierungskoalition und SPD am Ende so groß nicht – die Rettungsschirme haben sie gemeinsam beschlossen. Mittelfristig schließt Steinbrück allerdings auch Eurobonds – Anleihen mit gemeinschaftlicher Haftung der Euro-Länder – nicht aus, wenn Vertragsänderungen eine strengere gegenseitige Haushaltskontrolle ermöglichen.
„Es geht um dauerhaften Frieden“
Die Haltung dazu hat in der SPD mehrmals gewechselt: Ganz stringent ist die Krisenpolitik der Sozialdemokraten nicht. Steinbrücks Krisenkonzept fußt indes auf einer klaren Perspektive: Er und die SPD plädieren für entschlossene Schritte zu einer Politischen Union – und der Kanzlerkandidat scheut dabei auch leidenschaftliche Bekenntnisse nicht. „Wir müssen Europa neu erklären, was es bietet, ist einmalig auf der Welt“, mahnte Steinbrück gestern, „es geht um dauerhaften Frieden, dauerhafte Freiheit, dauerhafte Demokratie für unseren Kontinent.“