Tianjin. China leidet unter der sinkenden Nachfrage aus Europa und den Vereinigten Staaten. Die Wachstumsrate ist mittlerweile nur noch einstellig. Experten sehen eine Gefahr für die Weltwirtschaft. China verspricht: „Wir werden der Stabilisierung des wirtschaftlichen Wachstums größere Priorität einräumen.“

Edle Holzvertäfelung, marmorner Boden, futuristische Ledersessel und neueste Veranstaltungstechnik – im Kongresszentrum von Tianjin deutet nichts darauf hin, dass die Volksrepublik wirtschaftlich schwächelt. Und der ehemalige Berater der chinesischen Zentralbank Li Daokui warnt: „Das luxuriöse Ambiente darf nicht darüber hinweg täuschen, dass China noch immer ein armes Land ist. Und wir werden es noch eine ganze Weile bleiben.“

Die Stimmung ist getrübt

Auf dem Sommertreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) in der ostchinesischen Hafenstadt Tianjin ist die Stimmung unter den rund 2000 Teilnehmern getrübter als in den Jahren zuvor. Der deutsche Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab hatte das sogenannte „Sommerdavos“ als chinesischen Ableger seines legendären Schweizer Weltwirtschaftsforum in Davos ins Leben gerufen, um vorab schon mal die Bedeutung Chinas als künftig größter Wirtschaftsmacht der Welt zu betonen. Doch mit Blick auf die aktuellen Wirtschaftsdaten ist sich so manch ein Ökonom nicht mehr sicher, ob China diese führende Rolle so bald einnehmen wird.

Nach dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft Anfang 2009 im Zuge der Lehman-Pleite war China das erste Land, das wieder hohe Wachstumsraten aufwies und der Weltwirtschaft zum Auftrieb verhalf.

Doch nicht zuletzt aufgrund der schwachen Nachfrage in Europa und den USA ist der chinesische Export im Juli über Wochen fast gar nicht mehr gewachsen. Der Binnenmarkt kommt auch nicht in Schwung. Das Wirtschaftswachstum insgesamt lag im zweiten Quartal nur noch bei 7,6 Prozent, so niedrig wie seit drei Jahren nicht. Einige Experten sehen aufs Jahr gerechnet sogar nur noch eine sechs vor dem Komma. Für China, das zweistellige Raten gewohnt ist, wäre das nicht mehr viel.

Gefahr für die Weltwirtschaft

Der chinesische Ökonom Zhu Min, Vizedirektor beim Internationalen Währungsfonds, betonte, dass China am Wendepunkt stehe. „Das Wachstum zu stabilisieren und nicht die Strukturreformen aus den Augen zu verlieren, hat höchste Priorität“, sagte Zhu Min in Tianjin. Kommen diese Reformen nicht zustande, sehe er in China eine ebenso hohe Gefahr für die Weltwirtschaft wie derzeit in Europa oder die USA.

Ministerpräsident Wen Jiabao, der nach zehn Jahren im Amt zum Jahreswechsel ausscheidet, versprach: „Wir werden der Stabilisierung des wirtschaftlichen Wachstums größere Priorität einräumen.“ In den Haushaltskassen seines Landes seien genug Mittel und er werde nicht zögern, diese auch einzusetzen. Tatsächlich hat Chinas Regierung zur Ankurbelung der Konjunktur in den vergangenen Tagen im Schnellverfahren gleich eine Reihe neuer Infrastrukturprojekte in die Wege geleitet. Das in China einflussreiche Entwicklungsministerium hat den Neubau von weiteren 2000 Kilometern Autobahnen beschlossen. Hinzu kommen sollen 25 U-Bahnlinien, vier neue Flughäfen sowie über hundert Wind- und Solarparks. Die Gesamtsumme der Investitionen wird auf 250 Milliarden Euro geschätzt.