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Schon lange verdienen sich niedergelassene Ärzte mit Leistungen, die die gesetzliche Krankenkasse nicht übernimmt, ein Zubrot. Im vergangenen Jahr war der Zuverdienst mit insgesamt 1,5 Milliarden Euro allerdings besonders üppig.
Die Kassenärzte verdienen immer mehr Geld mit Leistungen, die ihre Patienten selbst zahlen müssen. Laut einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) kassieren die Ärzte 1,5 Milliarden Euro mit diesen individuellen Gesundheitsleistungen (Igel). Damit haben sie ihren Umsatz seit der letzten Studie 2008 um die Hälfte gesteigert.
Die AOK-Experten kritisieren, viele Ärzte würden „zunehmend kaufmännisch auftreten“, wie Studienleiter Klaus Zok der WAZ sagte. Das sieht er belegt durch das offenbar gezielte Ansprechen von Gutverdienern. So ergab die Studie, dass Patienten mit Nettoeinkünften über 3000 Euro mehr als doppelt so häufig freiwillige Leistungen angeboten werden als Geringverdienern.
Unnötige Behandlungen
Viele der Früherkennungstests, die von der Kasse nicht bezahlt werden, sind auch unter Ärzten umstritten. Die meiste Kritik trifft ausgerechnet die größten Umsatzbringer: Das Ultraschall zur Früherkennung von Eierstock- und Gebärmutterhalskrebs für 30 bis 50 Euro, die Augendruckmessung zur Erkennung von Grünem Star (20 bis 50 Euro) und den Prostatakrebs-Bluttest (20 bis 30 Euro). Sie könnten im Einzelfall sinnvoll sein, so Zok, seien aber oft fehlerhaft. So stellten sich viele positive Befunde als Fehlalarm heraus, der zu unnötigen Behandlungen führe.
Die Ärztekammer Nordrhein betont, Igel-Leistungen könnten „medizinisch sinnvoll sein“, sie verweist aber auch darauf, dass sie „auf besonderen Wunsch des Patienten erfolgen“ müsse. Laut Studie werden aber drei von vier Leistungen vom Arzt aktiv angeboten.
Weiterbildungen zwecks „systematischer Umsatzsteigerung“
Die AOK kritisiert zudem, dass Ärzte diese Leistungen häufig auch Risikopatienten berechnen, obwohl die Kassen für diese Gruppe bezahlen. Das Problem: Die Kassen verweisen dann darauf, dass die Untersuchung mit der vierteljährlichen Pauschale bereits abgegolten sei. Die Ärzte verdienen also faktisch nichts.
Tatsächlich werden Ärzten zahlreiche Weiterbildungen angeboten, zwecks „systematischer Umsatzsteigerung“, wie ein Anbieter wirbt. Ärzte sollten „die Praxis als Unternehmen und Patienten als Kunden erkennen“. Ein Mitbewerber gibt „Tipps und Tricks rund um den Verkauf von Igel-Leistungen“.
Der Doktor als Verkäufer
Seit Jahren klagen die niedergelassenen Ärzte über zu niedrige Honorare. Und spätestens seitdem sie für einen Patienten eine vierteljährliche Pauschale erhalten, werden Leistungen immer wichtiger, die auch von gesetzlich Versicherten auf eigene Rechnung gleich am Tresen bezahlt werden.
Die Augendruck-Messung, das Ultraschall oder der große Gesundheitscheck gelten als „Individuelle Gesundheitsleistungen“, kurz „Igel“. Ihnen ist gemein, dass sie dem Einzelnen helfen können, nach Überzeugung der Kassen aber nicht zur flächendeckenden Vorsorge taugen – auch, weil sie gesunde Menschen verunsichern können. Umso wichtiger ist deshalb für die Patienten, dass sie wissen, was der Arzt ihnen da vorschlägt.
Deshalb die wichtigsten Igel-Leistungen im Überblick:
Beim Augenarzt
Jeder Augenarzt verkauft pro Jahr im Durchschnitt 578 privat zu zahlende Leistungen, in der Regel ist dies eine Augendruckmessung zur Früherkennung von Grünem Star. Sie nehmen dafür 20 bis 50 Euro. Gemessen wird der Augeninnendruck, ein erhöhter Wert kann ein Hinweis auf Grünen Star sein, ist es oft aber nicht.
In Kombination mit einer Spiegelung des Augenhintergrunds können zwei von drei Erkrankungen erkannt werden, wird nur der Innendruck gemessen, jede zweite. Das bedeutet umgekehrt: Trotz Messung wird jede zweite Erkrankung übersehen. Negativ sind auch viele falsche Befunde, denen unnötige Folgeuntersuchungen folgen.
Wichtig: Wenn ein konkreter Verdacht besteht, zahlt die Kasse diese Untersuchung auch, dann muss der Patient sie nicht bezahlen.
Beim Frauenarzt
Die von allen häufigste Igel-Leistung ist der sogenannte „Sono-Check“, ein Ultraschall zur Früherkennung von Gebärmutter- und Eierstockkrebs für 30 bis 50 Euro. Laut AOK sind die Ergebnisse oft unzuverlässig. Häufig werde Krebsverdacht ermittelt, der sich in den meisten Fällen als falsch erweise. Unnötige Eierstock-Entfernungen und eine hohe Verunsicherung der Frauen seien die Folge.
Auch der Toxoplasmosetest in der Schwangerschaft (30 Euro) ist umstritten, weil er zwar die Antikörper bestimmt, aber nicht, wann die Infektion stattgefunden hat. Für das ungeborene Kind ist aber nur eine frische Infektion gefährlich.
Unbestritten sinnvoll ist der Test auf Schwangerschafts-Diabetes ab der 24. Woche für 30 Euro. Die Kassen zahlen das nur für Risikogruppen, etwa Übergewichtige.
Beim Urologen
Für 20 bis 30 Euro bieten Urologen und Hausärzte einen Test zur Früherkennung von Prostatakrebs an (PSA). Im Blut werden Antikörper nachgewiesen, die auf einen Tumor hinweisen können. Die Kassen bewerten das negativ, weil es zu sehr vielen Fehldiagnosen kommt. Bei zwei von drei positiven Diagnosen bestätigt sich anschließend der Krebsverdacht nicht. Auch müssen viele der tatsächlichen Tumore nicht behandelt werden. Doch diese Abwägung, ob die Allgemeinheit einen unzuverlässigen Test zahlen soll, sagt natürlich nichts darüber aus, ob er für den Einzelnen nicht doch sinnvoll ist und im Extremfall ein Leben retten kann.
Beim Internisten
Kritisch bewertet wird von den Medizin-Experten des Wido auch das Bauch-Ultraschall (20 Euro) zur Erkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Zwei von drei Tumoren würden dabei übersehen.
Beim Hals-Nasen-Ohrenarzt
Die Früherkennung von Lungenkrebs beim Hals-Nasen-Ohrenarzt gilt ebenfalls als stark fehleranfällig. Bis zu 50 Prozent der Erkrankungen werde dabei übersehen, diese Menschen würden sich anschließend in trügerischer Sicherheit wägen. Die Methode werde international selbst für Raucher abgelehnt.
Was sinnvoll ist
Als sinnvoll eingestuft wird auch von den kritischen Wido-Experten zum Beispiel der Sport-Check, der das Herz darauf untersucht, ob es für bestimmte Sportarten oder nach einer längeren Trainingspause gesund genug ist. Auch die Impfberatung samt Impfung vor Fernreisen gilt als wichtig, die Kosten muss aber der Reisende tragen.
Tipps für Patienten
1. Gesetzlich vorgeschrieben ist den Ärzten, dass sie ihre Patienten vor einer selbst zu zahlenden Behandlung oder Untersuchung ausführlich über deren Nutzen und Risiken aufklären. Der Patient muss schriftlich erklären, dass er diese Leistung ausdrücklich und auf eigene Kosten verlangt. Anschließend muss der Patient eine Rechnung über die Leistung erhalten.
2. Skepsis ist angebracht, wenn der Arzt auf Fragen nach der Zuverlässigkeit einer Früherkennungs-Methode ungenau oder ausweichend antwortet. Wichtig bei der Zuverlässigkeit ist nicht nur, ob eine Krankheit mit einem Test wirklich erkannt wird, sondern vor allem auch, wie oft fälschlicherweise eine Krankheit erkannt wird, die dann womöglich unnötig behandelt wird.
3. Größte Skepsis ist angebracht, wenn der Arzt Druck ausübt, eine Untersuchung machen zu lassen und dem Patienten keine Zeit zum Überlegen lässt. Unzulässig ist außerdem, sich die Leistung in Vorkasse zahlen zu lassen. Gar nicht zahlen muss jemand, der bereits Vorerkrankungen oder Symptome aufweist. So ist das Hautscreening bei Risikopatienten von der Kasse abgedeckt.