Berlin. . Der Jurist und Berater von Sterbehilfe-Organisationen glaubt nicht, dass das geplantes Gesetz dazu führen werde, dass Menschen gegen ihren Willen in den Selbstmord getrieben werden. Dennoch kritisiert auch er im Interview den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen. Viele befürchten, Menschen könnten gegen ihren Willen zum Freitod überredet werden. Der Jurist Dieter Graefe, der Sterbehilfeorganisationen berät, weist die Kritik im Interview zurück.
Der Kölner Erzbischof Meisner sieht in dem Sterbehilfe-Gesetzentwurf die Abkehr von der Würde des Lebens. Sehen Sie das auch so?
Dieter Graefe: Nein. Meisner verkennt völlig, worum es geht. Die Würde des Menschen wird dadurch gewahrt, dass man ihn nicht jahrelang gegen seinen Willen an Maschinen angeschaltet lässt. Man soll ihn sein Leben so gestalten lassen, wie er es möchte. Dazu gehört auch das Sterben.
Ist ein Tod mit Hilfe einer Sterbehilfe-Organisation ein würdevoller Tod?
Graefe: Warum nicht? Es kommt darauf an, was der Einzelne unter einem würdevollen Tod versteht.
Dennoch ist die Aufregung um das geplante Gesetz riesig. Zu Recht?
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Graefe: Es soll es nicht mehr zulässig sein, Beihilfe zum Suizid zu leisten und dafür Geld zu erhalten. Aber was ist dagegen einzuwenden, dass ein Sterbehelfer eine kleine Vergütung bekommt? Der Sterbehilfeverein Dignitas Deutschland hat im vergangenen Kalenderjahr 8350 Euro Gewinn gemacht.
Dagegen läuft die Politik Sturm. Sie sagt aber nichts, wenn die pharmazeutische und medizintechnische Industrie Milliarden scheffelt – auch dadurch, dass man Menschen oft jahrelang gegen ihren Willen an Geräte angeschlossen lässt.
Die Kritikern aus der Politik befürchten, dass das Gesetz der Sterbehilfe Tür und Tor öffnet.
Graefe: Wenn den Gegnern nichts mehr einfällt, kommt immer das Argument, hier könnte ein Dammbruch erfolgen und Menschen würden gegen ihren Willen getötet. Das ist dummes Zeug. Diese Befürchtung gab es damals auch in der Schweiz und in Holland. Aber so kam es nicht. Was aber aufhören wird, sind missglückte Suizidversuche, oft mit furchtbaren Folgen.
Das ist nicht Ihr Ernst!
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Graefe: Doch! Ein Beispiel: Als die Abtreibung legalisiert wurde, dachte man, jetzt lassen sehr viele Frauen abtreiben. Dem war nicht so. Was aber aufhörte, war die Kurpfuscherei bei der Abtreibung. Ähnlich wird es bei der Sterbehilfe sein.
Reden auch die Kritiker dummes Zeug, die befürchten, dass Todkranke von Angehörigen unter Druck gesetzt werden könnten?
Graefe: Wer das sagt, hat von der Praxis keine Ahnung. Der Mensch hat einen unglaublichen Lebenswillen. Ihn gegen seinen Willen zum Freitod zu überreden, ist unmöglich. Sterbehilfe ist für Menschen, die verzweifelt sind und sterben wollen.
Die dann zu einem Sterbehilfeverein fahren und sich für den Freitod entscheiden.
Graefe: Das ist zu pauschal. Rund 70 Prozent der Menschen, die ein erstes Gespräch bei einem Sterbehilfeverein suchen, wählen nicht den Freitod. Hier geht es vielmehr um ein psychologisches Moment.
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Sie wissen, dass ihnen im Notfall geholfen werden würde. Diese Sicherheit reicht den meisten Menschen aus.
Der Gesetzentwurf ist auch umstritten, weil „nahestehende Personen“ straffrei Beihilfe zum Suizid leisten können, auch Ärzte. Aber lässt sich einfach bestimmen, wer einem Sterbewilligen nahesteht?
Graefe: Das wird sehr schwierig sein. Bei der Ehefrau oder den Kindern ist es kein Problem. Bei Nachbarn oder Freunden wird es schon kritisch, beim Arzt erst recht. Wann beginnt ein vertrautes Verhältnis? Das wird die Gerichte beschäftigen.
Der Arzt hat eine Schutzfunktion. Verlieren Schwerkranke diesen Schutz - etwa auf Drängen Angehöriger - nicht, wenn der Mediziner Sterbehelfer sein kann?
Graefe: Der Arzt hat eine Schutzfunktion, keine Frage. Aber man darf dem Arzt unterstellen, dass er sich gute, gewissenhafte Gedanken macht, ob er das umsetzt, was der Patient oder gar ein Angehöriger fordert.