Düsseldorf. . Vor 100 Tagen enterten die Piraten den NRW-Landtag in Düsseldorf. Von der damaligen Euphorie ist jedoch wenig übrig geblieben. Die Partei und ihr Spitzenpersonal sind weiter auf der Suche nach sich selbst. Und die Beliebtheitswerte sind im Sinkflug.
Bernd Schlömer hatte einen Traum und behielt ihn nicht für sich. In zwei Jahren, orakelte der Vorsitzende der Piraten, werde seine Partei regierungsfähig sein – und dann komme „auch Angela Merkel als mögliche Koalitionspartnerin in Frage“. Doch der Aufstieg zur Macht in Berlin ist steinig. Die erfolgsverwöhnten Neulinge verlieren in der Wählergunst, der ersehnte Einzug in den Bundestag gerät in Gefahr. „Wir sind vor Wahlen ziemlich gehypt worden“, gibt der Düsseldorfer Piraten-Fraktionschef Joachim Paul unumwunden zu, „das ebbt jetzt ab.“
Paul, ein eher bedächtiger Politiker-Typ, glaubt zwar immer noch an einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2013. Doch auch er muss registrieren, dass seine von vielen Medien lange gehätschelte Partei inzwischen kritischer beobachtet wird. „Wir hatten eine hohe Nachrichten- und Boulevard-Dichte“, blickt Paul fast wehmütig zurück. Das habe nachgelassen.
Piraten fehlt eine klare Linie und ein Konzept
In aktuellen Umfragen sind die Piraten auf sechs Prozent abgesackt, ihren schlechtesten Wert seit März. Der Charme des Neuen verflüchtigt sich allmählich. „Es war erwartbar, dass die Beliebtheitswerte nach einer Weile zurückgehen“, analysiert Forsa-Chef Manfred Güllner. Die Piraten müssen erkennen, dass Popularität auf Dauer kein Selbstläufer ist - vor allem, wenn es an Substanz mangelt.
Bundesweit kommt die immerhin 35.000 Mitglieder zählende Partei politisch kaum vor. Ihr fehlt die große Bühne, und selbst aus zentralen Debatten um die Euro-Krise oder die Reichen-Steuer können die Piraten kein Kapital schlagen. Die – gewollte – Vielstimmigkeit von Abgeordneten, die sich an keinen Fraktionszwang gebunden fühlen, wird zum Nachteil, wenn keine klare Linie und kein Konzept mehr erkennbar sind.
Kein prominentes Gesicht in der Partei
Jüngstes Beispiel: die Steuer-CD. Als „schwer fassbar“ kritisierte nicht nur SPD-Regierungschefin Hannelore Kraft den Vorstoß zweier NRW-Piraten, die ihren Finanzminister wegen des Ankaufs von Silberlingen mit den Daten von Steuerflüchtlingen angezeigt hatten. Auch die eigene Fraktion ging auf Distanz, und die Parteispitze der Piraten rügte: „Sehr unglücklich“. Gestern legte Fraktionschef Paul nach: die Anzeige sei „keine geeignete Maßnahme“.
Im Bund hat die Partei kein prominentes Gesicht, seit sich Marina Weisband, die charismatische politische Geschäftsführerin, im April ins Privatleben zurückzog. Die bekannteste Piratin gönnt sich eine Auszeit, um sich zu erholen und ihre Diplomarbeit zu machen. Aus Sicht von Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner fehlen den Piraten starke Personen, die für etwas stehen. „Das Modell einer ominösen grauen Masse läuft sich schnell tot“, sagte er dem „Spiegel“.
„So ein Scheiß“
Meldungen über Pleiten, Pech und Pannen kommen dazu. Längst nicht bei allen Piraten kommt gut an, dass Johannes Ponader, der Nachfolger Weisbands, an der Parteibasis für sich um Spenden betteln lässt. Der „Gesellschaftskünstler“ ist arbeitslos und flammender Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens, eine zentrale Forderung seiner Partei. In Niedersachsen soll Carsten Schulz aus der Partei ausgeschlossen werden. Er hatte gefordert, die Leugnung des Holocaust zu entkriminalisieren.
Piratenpartei feiert in Düsseldorf
In NRW enterten 20 Piraten vor 100 Tagen den Landtag. Man arbeitet sich noch ein. Für Aufsehen sorgt indes die Landespartei. Eine neue Schatzmeisterin muss die chaotische Finanzlage in den Griff bekommen, nachdem ihre Vorgängerin die Buchführung schlicht vergessen hatte. Beim Parteitag im Juli empfahl sich der neue Landeschef Sven Sladek auf unverwechselbar „piratige“ Art. Eigentlich, so begründete er seine erfolgreiche Kandidatur, habe er „für so’n Scheiß keine Zeit“.