Berlin. . Die Rentenkasse ist so voll, dass im kommenden Jahr automatisch die Beiträge sinken müssten. Doch Karl-Josef Laumann und andere Unionspolitiker wollen das verhindern – als Polster für schlechte Zeiten. Der Koalition droht nun Krach, dem Bürger eine ähnliche Nullnummer wie bei den Krankenkassenbeiträgen.

In den Sozialkassen häufen sich in diesem Jahr Überschüsse in Rekordhöhe an – allein bei gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung werden es bis Dezember über 50 Milliarden Euro sein, vor allem wegen der guten Arbeitsmarktlage. Jetzt geht der Verteilungsstreit los – werden die Bürger entlastet?

In der Rentenkasse ist das Polster besonders groß: Auf 29 Milliarden Euro wird der Überschuss zum Jahresende geschätzt. Nach geltendem Recht wird deshalb der Beitragssatz 2013 von derzeit 19,6 auf voraussichtlich 19,0 Prozent gesenkt – ein Durchschnittsverdiener hätte im Jahr rund 90 Euro gespart. Die Absenkung erfolgt laut Gesetz quasi automatisch, wenn die Rücklage mehr als eineinhalb Monatsausgaben beträgt. Doch bevor Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Herbst eine entsprechende Verordnung erlässt, wächst in der Union der Druck, die Senkung zu stoppen.

„Wenigstens ein Sozialsystem sollte stabil sein“

Der Chef des CDU-Sozialflügels CDA, Karl-Josef Laumann, sagte unserer Zeitung: „Wir sollten den Beitrag bei 19,6 Prozent lassen, damit hätten wir mindestens zehn Jahre garantierte Beitragsstabilität.“ Es sei in Zeiten der Finanzkrise viel wert, wenn wenigstens ein Sozialsystem stabil und verlässlich aufgestellt sei, sagte der CDU-Fraktionschef im NRW-Landtag.

Der saarländische Sozialminister Andreas Storm (CDU) erklärte: „Die Bürger haben verstanden und akzeptiert, dass die Kosten der Alterssicherung steigen werden, sie wollen eine nachhaltige Rentenfinanzierung. Es wäre absurd, den Rentenbeitrag jetzt massiv abzusenken, wenn absehbar ist, dass er schon mittelfristig deutlich ansteigen wird.“ Storm verwies auf eine neue Emnid-Umfrage im Auftrag seines Ministeriums, nach der 83 Prozent der Bürger statt einer Beitragssenkung lieber stabile Rentenfinanzen wollen. Sinnvoll sei es daher, auf die Absenkung zu verzichten und in der Rentenkasse einen Puffer anzulegen, sagte der CDU-Politiker unserer Zeitung. Storm behielt sich eine Bundesratsinitiative etwa für eine Erhöhung der Mindestreserve in der Rentenkasse vor, warb aber zunächst für einen breiten Konsens und einen „gemeinsamen Weg mit Regierung und Koalition“.

Hat von der Leyen die Kanzlerin gegen sich?

Der Rentenexperte der Unionsfraktion, Peter Weiß, plädierte dafür, die Reserve wieder auf drei Monatsausgaben zu verdoppeln. Gegen eine Absenkung sprechen sich auch die Vorsitzenden von Junger Union und Senioren-Union, Philipp Mißfelder und Otto Wulff, aus.

Krach in der Koalition steht bevor: Ministerin von der Leyen (CDU) hat schon erklärt, sie halte an der Beitragssenkung fest. Der Bundeskanzlerin ist im Wahljahr an einem Entlastungssignal gelegen, auch die FDP beharrt darauf: „Der Reserveüberschuss muss an die Bürger zurückgegeben werden, alles andere wäre ungerecht“, sagt FDP-Rentenexperte Heinrich Kolb. Gewerkschaften, Sozialverbände und Opposition plädieren dagegen schon länger für einen Verzicht auf die Beitragssenkung, um Reserven aufzubauen.

Im Gesundheitssystem sieht es ähnlich aus

Im Gesundheitssystem schlummern derzeit rund 20 Milliarden Euro an Überschüssen, 11,5 Milliarden Euro horten mehrere Krankenkassen, der Rest liegt im Gesundheitsfonds. Seit Monaten fordert Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) die Kassen mit Überschüssen auf, ihren Versicherten Prämien auszubezahlen – ohne großen Erfolg, die meisten wollen für schlechte Zeiten sparen. Einzelne Betriebskassen zahlen ihren Mitgliedern bis zu 60 Euro im Jahr zurück. Andere bieten neue Extras an, bezuschussen alternative Heilmethoden, Gesundheitschecks oder Osteopathie.

Die FDP will jetzt die Praxisgebühr abschaffen, die Union ist bislang dagegen. Etwas mehr Geld fließt an die Krankenhäuser. Sie bekommen dieses Jahr 280 Millionen Euro mehr – zum Ausgleich für Tarifsteigerungen. Auch die Ärzteschaft verhandelt jetzt über Zuwächse: Sie fordert ab 2013 rund zehn Prozent mehr Honorar, das wären etwa drei Milliarden Euro.

Wie arm sind die Ärzte?

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, verweist auf die „finanzielle Unterdeckung“ der Praxen. Die Grundlage der Honorarordnung sehe vor, dass ein Arzt bei 51 Wochenstunden im Schnitt 105.000 Euro Überschuss erzielen könne. „Tatsächlich werden nur knapp 92.000 Euro erreicht. Es besteht somit ein Nachholbedarf von 13 Prozent“, sagt Köhler. Die Forderungen seien durch Fakten nicht zu belegen, kontert der Vize-Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg. „Ein niedergelassener Arzt verdient im Durchschnitt zirka 165.000 Euro im Jahr als Reinertrag – und trotzdem vermitteln viele den Eindruck, als stünden sie an der Armutsgrenze.“