Stuttgart. Vor ihrem Parteitag am Samstag steckt die baden-württembergische CDU tief in der Krise. Viele Mitglieder machen Ex-Ministerpräsident Mappus für den Sturz der Union im Ländle verantwortlich. Dessen zweifelhafter Geheim-Deal mit Parteifreund Dirk Notheis hat das Zeug zum Polit-Krimi.

Die „Baden-Württemberg-Partei“ kommt am Samstag am Karlsruher Festplatz zusammen. Doch auf dem Landesparteitag wird die CDU weder für das Ländle sprechen noch wird sie feiern. Sie wird ihren tiefen Sturz aufarbeiten: Fast 60 Regierungsjahre und die Macht der Späths und Teufels und Oettingers sind vorbei. Man ist Opposition. Opposition ist Mist, hat der Sozialdemokrat Müntefering mal gesagt.

Viele der 400 Delegierten sind überzeugt: Der Mann, der sie in diesen Mist gesteuert hat, heißt Stefan Mappus. Der ehemalige Ministerpräsident und Dirk Notheis, der ehemalige Bankmanager, haben mit dem Geheimhandel um den Rückkauf der EnBW-Energieaktien den Ruf der angeschlagenen Christdemokratie nach der Wahlniederlage ein weiteres Mal beschädigt, fürchten sie: Hat Mappus dem Verkäufer EdF nicht zu viel bezahlt? Hat er nicht das Parlament hintergangen? Hat Notheis’ Firma, die als Berater des Landes engagierte Bank Morgan Stanley, nicht eher dem Verkäufer in die Hände gespielt? Einen „Autokraten“ nennt der CDU-Fraktionschef im Landtag, Peter Hauk, den Parteifreund. Ein anderer sagt: Mappus hat so regiert, wie er aussieht.

Es sind Zweifel und Vermutungen, die frühere enge Vertraute des Politikers mit der grün-roten Landesregierung und dem Rechnungshof teilen und neuerdings auch mit der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Auf schwäbisch: Hat man bei diesem 4,7 Milliarden-Deal „bscheissa“?

Die ganze Wahrheit muss auf den Tisch, werden sie in Karlsruhe verlangen. Doch welche Wahrheit? Beim guten Krimi steht der Täter erst zum Schluss fest. Vielleicht gilt das auch für den Polit-Thriller, der in Baden-Württemberg vorgeführt wird. Was dort im Jahr 2010 passiert ist, das ist Stoff für die Extraklasse.

Wie der Rückkauf der EnBW-Aktien seinen Anfang nahm 

Der Ministerpräsident ist in jenen Herbsttagen mit einer brisanten Lage konfrontiert. Paris will über den 45-prozentigen Anteil reden, den das Land zehn Jahre zuvor an die staatliche Electricite de France (EdF) verkauft hat. Klarer wird die Botschaft, als der schwergewichtige Alpha-Mann aus Stuttgart mit dem EdF-Chef Henri Proglio beim Essen sitzt. EdF, in zweistelliger Milliardenhöhe verschuldet, will entweder die Mehrheitsanteile der schwäbischen kommunalen Eigner zukaufen - oder alles am Markt losschlagen.

Das „Alles oder nichts“ der Franzosen kontert Mappus am 10. November beim Besuch an der Seine mit einem „weder noch“: Ausgeschlossen ist für ihn, dass die südwestdeutsche Energieversorgung mit ihren vier Kernkraftwerken direkt aus dem Elysee gesteuert wird. Andererseits: Wenn EdF den eigenen Anteil verkauft, kauft vielleicht Gazprom. Gazprom ist Kreml. Der hat schon in Essen nach Ruhrgas gegiert. Das geht noch weniger.

Es sind elementare Fragen, die den Landesvater umtreiben. Er ortet sich selbst in einer Falle. Er will er die Lage von vor 2000 wiederherstellen und den Verkauf der Landesanteile an die Franzosen rückgängig machen.

Industriepolitik im Hinterzimmer - Codewort „Olympia“

Mappus braucht dafür viel Geld aus der Landeskasse - und Freunde, die das managen. Einen ganz alten weiß er in einer der obersten Wirtschaftsetagen: Dirk Notheis, Deutschlandchef der Investmentbank Stanley Morgan. Sie haben im gleichen Klassenzimmer gesessen und nach der Schule zu Hause gespielt. Sie haben gemeinsam die Junge Union gesteuert. Sie machten zusammen Politik im CDU-Landesvorstand. Notheis kennt sich in Unternehmenskäufen aus. Warum sollten sie nicht diesen Coup erledigen?

Als Mappus fragt, sagt Notheis ja. Was dann zwischen der vorletzten Novemberwoche 2010 und dem 6. Dezember stattfindet, ist ein Wettlauf gegen die Zeit. EdF will den Jahresabschluss polieren. Paris braucht die Einnahme aus dem Verkauf dringend. Man macht die Nacht zum Tag, wird später ein Morgan-Stanley-Manager einräumen. Während draußen Wutbürger die Bahnhofspläne von Stuttgart 21 rupfen, macht das Gespann Mappus/Notheis Industriepolitik im Hinterzimmer. Die Geheimoperation trägt das Codewort „Olympia“.

Der beständige Einfluss des Freundes ist heute in zig E-Mails belegt. Sie sind wie Befehle formuliert: Zieh es in deiner Regierung alleine durch! Lass andere Berater und Banken draußen! Nur ich bin dein Mann! Notfalls gelte es auch, „Mutti“ einzuschalten. „Mutti“ - das ist die Kanzlerin.

Mappus hört auf Notheis. Er muss in dieser Situation die Sensibilität für den gebotenen Abstand verloren haben, sagt einer, der ihm heute beisteht.

Warum wurde der Preis der Aktien nicht besser geprüft? 

Was muss der Steuerzahler für den Rückkauf auf den Tisch legen? 39,90 Euro je Aktie. Das ist der Buchwert, den die EdF für ihren EnBW-Anteil zunächst will. Später erhöht Proglio auf 40 Euro. Für das Land wird die Differenz elf Millionen Euro ausmachen. Drei „Fairness Opinions“, sagt Mappus, hat er eingeholt. Bei Morgan Stanley, auch bei der Landesbank. „Fairness Opinions“ sind wenige Seiten lange Wertungen. Unzureichend, sagen die Staatsanwälte. Die eingehende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung habe gefehlt. Sie ermitteln gegen Mappus wegen Untreue und werfen ihm vor, einen „Vermögensverlust“ für das Land „billigend in Kauf genommen zu haben“, als er am 6. Dezember in der Frühe endlich unterschreibt. Die Wirtschaftlichkeit untersuchen?, fragen seine Anwälte zurück. Warum? Kannte nicht jeder im Ländle die Konzern-Zahlen in- und auswendig?

Mappus handelte am Landtag vorbei

Es gibt Dinge, die der Ex-Ministerpräsident eingesteht. „Ich würde den eingeschlagenen Rechtsweg heute so nicht mehr gehen“, sagt er heute. Denn Mappus handelt 2010 am Landtag vorbei. Die Franzosen sind gegen eine Einschaltung des Parlaments, weil sie ihre Geschäftspolitik nicht öffentlich seziert sehen wollen. Auch die beratende Kanzlei Gleiss-Lutz hält den Alleingang für „gangbar“. Selbst der Landesfinanzminister wird erst am 5. Dezember um 23 Uhr eingeweiht. 4,67 Milliarden Euro Steuergeld gehen also über den Tisch, ohne dass es eine politische Debatte gibt und die Volksvertretung das abnickt. Sie wird es erst im Nachhinein tun.

In einem Prozess könnte es um 840 Millionen Euro gehen

Genau an dieser Stelle hakt die neue grün-rote Mehrheit ein: Mappus habe nicht nur das Parlament umgangen. Er habe auch einen um 840 Millionen Euro zu hohen Kaufpreis bezahlt. Zwar weigert sich der Landesrechnungshof, solche Zahlen zu nennen. Er stellt in Frage, ob man dies überhaupt tun kann. Der Anwalt von Mappus, der Essener Jurist Stephan Holthoff-Pförtner, sagt: „Er hat den Schaden nicht angerichtet. Es wird also auch nicht gelingen, einen Vorsatz dazu nachzuweisen“.

Aber die 840 Millionen könnten die Hausnummer sein, um die es am Ende in einem Prozess geht. Es wäre das erste Mal, dass sich ein deutscher Ministerpräsident für sein Regierungshandeln juristisch verantwortet. Politisch muss er das längst. Am 12. Oktober sagt Stefan Mappus im Untersuchungsausschuss aus. Zum zweiten Mal.