Stuttgart. . Winfried Kretschmann ist als erster Grünen-Politiker in Deutschland zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Der 62-Jährige erhielt am Donnerstag die Mehrheit der138 Abgeordnetenstimmen direkt im ersten Wahlgang, sogar zwei Stimmen aus der Opposition.
Winfried Kretschmann ist als erster Grünen-Politiker in Deutschland zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Der 62-Jährige erhielt am Donnerstag im Stuttgarter Landtag im ersten Wahlgang 73 von 138 Abgeordnetenstimmen und erzielte damit die absolute Mehrheit für die Wahl zum baden-württembergischen Regierungschef.
Da Grüne und SPD lediglich über 71 Sitze im Landtag verfügen, stimmten bei der geheimen Wahl auch zwei Abgeordnete von CDU und FDP für Kretschmann. Der 62-Jährige nahm die Wahl an. Im Anschluss wurde er von Landtagspräsident Willi Stächele (CDU) vereidigt.
Kretschmann zeigte sich erfreut darüber, zwei Stimmen aus dem Oppositionslager erhalten zu haben. "Ich nehme es als Auftrag, dass es nicht meine Aufgabe ist, zu polarisieren, sondern zusammenzuführen", sagte Kretschmann nach der Wahl im SWR-Fernsehen. Er sei vor der Abstimmung im Landtag "schon etwas nervös" gewesen, räumte der Grünen-Politiker ein.
Grüne werten zwei Stimmen aus Opposition als "gutes Signal"
Die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth sprach von einem "guten Signal". In Baden-Württemberg gebe es so "große Gräben" und Kretschmann habe es sich ja zum Ziel gesetzt, ein Ministerpräsident für alle sein und zusammenführen zu wollen, sagte sie am Donnerstag im dapd-Interview in Stuttgart.
Regierungssprecher Rudi Hoogvliet sprach angesichts der zwei zusätzlichen Stimmen von einem "Riesenvertrauensbeweis". Kretschmann sei auch über die Lager hinaus akzeptiert, das sei eine sehr gute Basis für die Arbeit in der Regierung und im Parlament.
Der Grünen-Landesvorsitzende Chris Kühn zeigte sich tief bewegt über Kretschmanns Erfolg und den historischen Tag für die Grünen. "Wir freuen uns über zwei Stimmen mehr." Kretschmann habe sicher auch Freunde in anderen Fraktionen.
Kretschmann und Familie erleichtert nach der Wahl
Die Erleichterung, die dem 62-Jährigen nach seiner Vereidigung anzusehen war, war auch bei seiner Familie erkennbar. "Wenn man das so viele jahrelang mitmacht, auch die vielen Tiefs und dann hat man den ersten Etappensieg errungen, das ist so schön", sagte seine Ehefrau Gerlinde Kretschmann.
Sie zeigte sich nicht überrascht, dass ihr Mann bei der Abstimmung zwei Stimmen aus den Reihen von CDU und FDP erhielt. "Ich hab" eigentlich schon damit gerechnet, dass er mehr Stimmen bekommt", bekannte sie. Die Ehefrau des Ministerpräsidenten vermutete, dass die Stimmen aus den Reihen der CDU kommen.
Vermutungen über Abweichler innerhalb der CDU
Im Anschluss an die Wahl wurden Vermutungen laut, die beiden zusätzlichen Stimmen kämen aus der CDU. In CDU-Kreisen wurde gemunkelt, die Abweichler seien wohl dem Lager von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus zuzurechnen. Die Stimmen für Kretschmann seien nicht aus Sympathie für den Grünen-Politiker abgegeben worden, sondern um der Fraktion "eins auszuwischen", hieß es. Die ehemalige Umweltministerin und Mappus-Vertraute Tanja Gönner war bei der Wahl zum Fraktionschef Hauk unterlegen.
CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte, die zwei Überläufer beunruhigten ihn nicht weiter. "Es ist ein Ausdruck gelebter Demokratie. Die Wahl ist frei und geheim", sagte Hauk.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke äußerte sich "absolut sicher", dass die Stimmen nicht aus der FDP-Fraktion stammten. "Wir haben darüber geredet und mir haben es die Abgeordneten glaubhaft versichert", sagte er. Er glaube, dass dieses Ergebnis schon bald keine Rolle mehr für die Opposition spielen werde. Die FDP-Fraktion werde nun dazu übergehen, konstruktive Gegenkonzepte zu Grün-Rot zu erarbeiten. "Von uns wird es keinen Konfrontationskurs geben", sagte er.
Volksentscheid zu Stuttgart 21 bis Mitte Oktober
In der Koalitionsvereinbarung gilt das milliardenteure Bahnprojekt Stuttgart 21 als Stolperfalle, weil der Juniorpartner SPD im Gegensatz zu den Grünen den Umbau des Bahnhofs befürwortet. Bis Mitte Oktober soll ein Volksentscheid darüber stattfinden. Die Koalition will vor allem den Ausstieg aus der Atomenergie, den Ausbau der Gesamtschulen sowie eine stärkere Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen vorantreiben.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat die Lage in Baden-Württemberg, wo die Sozialdemokraten Juniorpartner der Grünen sind, als eine Ausnahmesituation bezeichnet. "Es ist für uns, die wir im Südwesten der Republik immer schwächer waren, ein akzeptables Ergebnis." Dass die SPD aber auf Bundesebene nicht die Nase vor den Grünen habe, halte sie überhaupt nicht für eine realistische Option.
Die Baden-Württemberger hatten am 27. März die schwarz-gelbe Landesregierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) abgewählt. (rtr/dapd)