Berlin. Die Abstimmung im Bundestag war am späten Freitagabend beendet - und noch in der Nacht legte die Linke eine Verfassungsklage gegen den Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt ein. Die Gesetze können wegen dieser Klagen nicht bereits am Sonntag in Kraft treten. Der Bundesrat stimmte den Gesetzen in der Nacht noch zu.
Noch in der Nacht zum Samstag hat die Linke eine Verfassungsklage gegen Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm ESM eingereicht. Sie will damit eine öffentliche Debatte erzwingen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Ansicht der Partei vermeiden wollte. Der Bundestag hätte nicht mehr alle Rechte, die ihm das Grundgesetz zuweise, sagte die Linke-Vorsitzende Katja Kipping der "Leipziger Volkszeitung".
"Ich bin zuversichtlich, dass das Verfassungsgericht unseren Argumenten Gehör schenkt", sagte Kipping. Ziel sei eine Volksabstimmung. Man setze dabei auf ein Zeichen durch das Bundesverfassungsgericht. "Auch ein Teilerfolg wäre ein wichtiges Zeichen. Das Verfassungsgericht kann der Politik einen Wink geben, dass über so weitreichende Gesetze das Volk entscheiden muss."
Insgesamt sechs Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe
Die angekündigten vier Eilanträge gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt seien eingegangen, bestätigte am Samstag die Sprecherin des Gerichts in Karlsruhe, Judith Blohm. Es handelte sich um Anträge des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, der Linken-Bundestagsfraktion sowie der Organisation "Mehr Demokratie". Sie wird unterstützt von der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und sammelte 12. 000 Unterschriften von Bürgern für ihre Verfassungsbeschwerde.
Außerdem ging ein Eilantrag von fünf Professoren mit ihrem Rechtsvertreter Karl Albrecht Schachtschneider ein. Diese Gruppe hatte bereits im vergangenen Jahr gegen die Griechenland-Hilfe geklagt. Zudem lagen zunächst zwei Verfassungsbeschwerden einzelner Bürger vor; es wurde erwartet, dass noch weitere dazukommen.
Der Bund der Steuerzahler hat verkündet, er wolle ebenfalls gegen Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm ESM Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben. Der neue Verbandspräsident Reiner Holznagel sagte der "Bild am Sonntag", eine "Beschneidung der Rechte der Steuerzahler" sei ebensowenig hinnehmbar wie die neuen Lasten, die den Bürgern durch ESM und Fiskalpakt auferlegt würden. "Gegen dieses Aushöhlen demokratischer Bürgerrechte reichen wir deshalb eine Verfassungsbeschwerde ein."
Gauweiler reichte zudem Organklage gegen die Bundesregierung, den Bundestag und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein, da er sich als Abgeordneter in seinen Rechten verletzt fühle. Eine weitere Organklage kam von der Linken-Bundestagsfraktion.
Die acht zuständigen Richterinnen und Richter können über die Eilanträge eine mündliche Verhandlung führen. Möglich ist aber auch, dass der Zweite Senat auf dem Beschlussweg entscheidet. Ob es eine Verhandlung gibt, will das Bundesverfassungsgericht Anfang der Woche bekannt geben.
Der ESM kann wegen der Eilanträge nicht wie geplant am Sonntag in Kraft treten. Bundespräsident Joachim Gauck hatte angekündigt, die Gesetze zum ESM und dem Fiskalpakt zunächst nicht zu unterzeichnen.
Sparvorgaben für die Länder
Der Fiskalpakt, über den abgestimmt wurde, ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der den 25 Teilnehmerstaaten strenge Sparvorgaben auferlegt. Außer Großbritannien und Tschechien wollen alle EU-Staaten mitmachen.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll angeschlagenen Euro-Staaten Finanzhilfe gewähren. Das Ausleihvolumen beträgt maximal 500 Milliarden Euro, das Stammkapital 700 Milliarden. Er soll noch im Juli in Kraft treten und nach und nach seinen Vorläufer EFSF ablösen. Der deutsche Anteil am eingezahlten Kapital beträgt 21,7 Milliarden Euro, am abrufbaren Kapital rund 168 Milliarden Euro.
Bundesrat stimmte Gesetzen kurz vor Mitternacht zu
Nach dem Bundestag stimmte am späten Freitagabend auch der Bundesrat kurz vor Mitternacht mit Zwei-Drittel-Mehrheit für den Fiskalpakt und den Euro-Rettungsschirm ESM. In der Länderkammer wurde die Zweidrittelmehrheit locker übertroffen. Von 69 Vertretern stimmten in beiden Abstimmungen 65 zu. Alle Länder außer dem von SPD und Linkspartei regierten Brandenburg stimmten für das Gesetz.
Die Länderkammer leiste mit dem Votum einen "entscheidenden Beitrag", Europa für die Bewältigung der europäischen Schuldenkrise zu wappnen, sagte Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister. Die Regierungskoalition hatte sich die Zustimmung des Bundesrats vorab gesichert, indem sie Ländern und Kommunen Zusagen in Milliardenhöhe gemacht hat.
Opposition wertet Abstimmung als Niederlage für Merkel
Nach der erfolgreichen Abstimmung erntete Merkel aber auch Kritik. Die schwarz-gelbe Koalition ist nach Ansicht der Opposition europapolitisch nicht mehr handlungsfähig. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe bei der Abstimmung zum Europäischen Rettungsschirm (ESM) im Bundestag nicht nur die Kanzlermehrheit, die Mehrheit der Mitglieder des Hauses, verfehlt, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, am Freitagabend in Berlin. Merkel habe auch keine eigene Mehrheit mit den anwesenden Abgeordneten der Koalition gehabt.
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, verwies auf die "weitere Niederlage" für die Kanzlerin. "Angela Merkel kann sich weder in Brüssel noch in Berlin durchsetzen", erklärte Oppermann. Die Kanzlerin verliere "die Kontrolle und den Rückhalt in den eigenen Reihen". 300 Abgeordnete der Koalition hatten für den ESM gestimmt, elf weniger als die Kanzlermehrheit. Die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Verabschiedung kam dennoch zusammen, weil SPD und Grüne mit der Koalition stimmten. (dapd, afp)