Berlin. . Der Verfassungsschutz soll wichtige Akten zur Thüringer Terrorzelle gelöscht haben. Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses reagieren empört: Dies sei ein „unglaublicher Vorgang“. BKA-Chef Jörg Ziercke überrascht derweil mit einem Schuldeingeständnis.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) drängt auf rasche Aufklärung der Vernichtung von Akten zur Neonazi-Mordserie durch den Bundesverfassungsschutz. Er habe den Präsidenten des Kölner Bundesamts, Heinz Fromm, aufgefordert, "diesen Vorfall lückenlos aufzuklären und mir so rasch wie möglich zu berichten", erklärte Friedrich am Donnerstag in Berlin. Innen-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche habe unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorgangs am Mittwoch das für die Kontrolle zuständige Parlamentarische Kontrollgremiums (PKG) des Bundestags informiert.
Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums bestätigte die Vernichtung von Akten zur Mordserie der Thüringer Neonazi-Zelle am Donnerstag vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss. Am 11. November 2011, kurz nach Bekanntwerden der Mordserie, hatte der Verfassungsschutz Akten zur sogenannten "Operation Rennsteig" vernichtet. Dabei handelte es sich um eine Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der rechtsextremen Gruppe "Thüringer Heimatschutz", aus der die NSU hervorgegangen sein soll.
"Unglaublicher Vorgang"
Die Aktenvernichtung sorgte im Untersuchungsausschuss quer durch die Parteien für Empörung. "Das ist erklärungsbedürftig", sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) der "Mitteldeutschen Zeitung". "Solche Vorkommnisse machen es schwierig, Verschwörungstheorien überzeugend entgegenzutreten." Dies sei ein „unglaublicher Vorgang“, sagte auch der FDP-Vertreter im Ausschuss, Hartfrid Wolff, am Donnerstag am Rande einer Sitzung des Gremiums. Nach Angaben des Grünen-Abgeordneten Wolfgang Wieland bestätigte ein Vertreter des Bundesinnenminsteriums vor dem Bundestagsgremium die Aktenvernichtung.
„Das ist Konfetti der besonderen Art“, sagte Wieland zu der Aktenvernichtung am 11. November 2011. „Wir finden das nicht lustig. „ Es stelle sich nunmehr die Frage, ob die Mitglieder der Neonazi-Zelle tatsächlich nicht auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes standen. Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger sagte, der Vorgang lasse Raum „für alle möglichen Theorien“.
„Der Verfassungsschutz hat viel zu verbergen“
Die SPD-Vertreterin Eva Högl forderte, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) müsse den Vorgang lückenlos aufklären. „Der gesamte Vorgang ist unerträglich und muss Konsequenzen haben.“ Zu klären sei, ob hier „Fehler von Sicherheitsbehörden vertuscht“ werden sollten.
„Ganz offensichtlich hat der Bundesverfassungsschutz viel zu verbergen“, erklärte die Linken-Abgeordnete Petra Pau dazu. „Das Bild über den Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der NSU-Nazi-Mordserie wird immer finsterer, ja rabenschwarz.“
Verfassungsschutz soll Akten der „Operation Rennsteig“ vernichtet haben
Den Angaben zufolge hatte der Bundesverfassungsschutz im November 2011 wenige Tage nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie Akten zur so genannten „Operation Rennsteig“ vernichtet. Dabei handelte es sich um eine Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der rechtsextremen Gruppe „Thüringer Heimatschutz“, aus der die NSU hervorgegangen sein soll.
Der rechtsextremen Zelle NSU werden bundesweit neun Morde an Migranten sowie an einer Polizistin vorgeworfen. Mögliche Ermittlungspannen stehen auch im Mittelpunkt der Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSU. Er soll am Donnerstag den Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, vernehmen.
Unterdessen räumte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, vor dem Ausschuss das Versagen bei den Ermittlungen zu der Mordserie ein. Er bedaure, dass die Sicherheitsbehörden nicht ihrer Schutzfunktion gegenüber den Bürgern nachgekommen sei, sagte der BKA-Chef in seiner Vernehmung. "Wir haben versagt."
"Auch zentrale Ermittlungen des BKA hätten keinen Erfolg garantiert"
Ziercke verteidigte zugleich die Entscheidung, die Ermittlungen zu der Mordserie nicht zentral vom BKA führen zu lassen. Er habe zwar für zentrale Ermittlungen seiner Behörde geworben, sagte er . Eingerichtet worden sei aber stattdessen eine Steuerungsgruppe unter Einbeziehung des BKA, was ein "vertretbarer Kompromiss" gewesen sei. Auch zentrale Ermittlungen des BKA hätten keinen Erfolg garantiert. Die Entscheidung, die Ermittlungen nicht zentral beim BKA zu führen, hat vielfach für Kritik gesorgt.
Der rechtsextremen Zelle, die sich "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) nannte, werden bundesweit neun Morde an Migranten sowie an einer Polizistin vorgeworfen. Die Ermittlungen waren von zahlreichen Pannen der Ermittlungsbehörden begleitet, die der Bundestagsausschuss sowie ähnliche Gremien in mehreren Landtagen aufklären wollen.(afp)