Berlin. . BKA-Mann Bernhard Falk erkannte schon vor Jahren, dass bei der Fahndung nach den Mördern von Migranten etwas schief lief. Heute sagt er als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Es geht um die Frage: Hat die Politik die Gafhr des rechten Terrorismus nicht sehen wollen?

Die Sache lief schief, richtig schief. Bernhard Falk blieb es nicht verborgen, nicht ihm, einem Profi, seit 1968 bei der Kripo, im 13. Jahr schon Vize-Präsident des Bundeskriminalamts (BKA). Es ist der 2. Mai 2006, und Falk lässt in Wiesbaden ein Schreiben von großer Brisanz ans Innenministerium in Berlin aufsetzen. Darin listet er auf, was bei der Ermittlung einer bundesweiten Serie von neun Morden schief läuft.

Er vermisst ein „einheitliches Konzept“ für Ermittlungen, Fahndung oder auch für verdeckte taktische Maßnahmen. Außerdem informiert er Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) über Beschwerden und bittet darum, die Ermittlungen dem BKA zu übertragen. Inzwischen ist der Mann im Jahr 2009 in den Ruhestand gegangen, die Morde sind weithin aufgeklärt, die Serie wird rechten Terroristen (NSU) zur Last gelegt. Aber erledigt hat sich nichts, weder juristisch noch politisch: Der Ruheständler muss heute vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge aussagen.

Chronik der Fahndung nach den NSU-Terroristen

4. November 2011: Bei der Fahndung nach zwei Bankräubern entdeckt die Polizei in Eisenach in einem ausgebrannten Wohnmobil zwei Leichen und mehrere Schusswaffen.

Am selben Tag kommt es in Zwickau zu einer Explosion in einem Wohnaus. Das Haus brennt nieder. Noch ist unklar, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Fällen gibt.

7. November 2011: Zwei Waffen aus dem Wohnmobil stellen sich als die Dienstwaffen der Polizistin Michèle Kiesewetter und ihres Kollegen heraus.

Michèle Kiesewetter wurde 2007 in Heilbronn bei einem Attentat ermordetet, ihr Kollege damals schwer verletzt.

8. November 2011: Ein DNA-Test bestätigt die Verbindung der im Wohnmobil tot aufgefundenen Männer zu dem Polizistenmord in Heilbronn. Die Polizei geht davon aus, dass die beiden Männer auch für den Banküberfall in Eisenach verantwortlich waren. Überraschend...

...stellt sich an diesem Tag die mit internationalem Haftbefehl gesuchte Mitbewohnerin der Bankräuber, Beate Zschäpe, der Jenaer Polizei. Die 36-Jährige soll die Zwickauer Wohnung in Brand gesteckt haben, um Spuren zu vernichten.

11. November 2011: Bei den Ermittlungen kommt heraus, dass mit einer der gefundenen Pistolen zwischen 2000 und 2006 acht türkischstämmige und ein griechischstämmiger Kleinunternehmer erschossen wurden.

Die Anhaltspunkte deuten daraufhin, dass die Morde von einer rechtsextremistischen Gruppierung begangen wurden. Die Bundesanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen.

Auf DVDs, die in der ausgebrannten Wohnung gefunden wurden, ist ein Propagandafilm der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). In dem Video brüsten sich die Mitglieder der Terrorgruppe mit den Morden. In einem Ausschnitt ist eine selbst konstruierte Nagelbombe zu sehen.

13. November 2011: Beamte des Landeskriminalamtes Niedersachsen nehmen Holger G. fest. Er stehe im "dringenden Verdacht", sich an der terroristischen Vereinigung NSU beteiligt zu haben.

18. November 2011: Bund und Länder beschließen auf einem Krisengipfel ein Zentralregister für rechtsextremistische Gewalttäter und ein "Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus".

24. November 2011: Mit Andre E. wird ein weiterer mutmaßlicher Helfer der Terrorzelle festgenommen. Der Sachse soll den Propagandafilm erstellt haben.

29. November 2011: Die Polizei nimmt den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben fest. Ihm wird vorgeworfen, die Terroristenzelle unterstützt zu haben.

9. Dezember 2011: Die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) strebt ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD an.

11. Dezember 2011: Mit Matthias D. aus dem Erzgebirgskreis geht den Fahndern ein weiterer mutmaßlicher Helfer der NSU ins Netz.

4. Januar 2012: Die Abgeordnete der Grünen im Landtag Thüringen legen einen Antragsentwurf für einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Terror vor.

Der Untersuchungsausschuss soll klären, ob es bei den Ermittlungen zur NSU-Terrorzelle zu Versäumnissen gekommen ist.

13. Januar 2012: Die Fraktionen im Bundestag einigen sich auf die Bildung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der mögliche Versäumnisse bei den Ermittlungen zur NSU aufdecken soll.

25. Januar 2012: Ermittler durchsuchen in Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg Wohnungen und Geschäftslokale von vier mutmaßlichen Unterstützern der NSU.

26. Januar 2012: Der Deutsche Bundestag beschließt die Einsetzung des Untersuchungsausschusses.

1. Februar 2012: In Düsseldorf wird mit Carsten S. ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der Terroristen verhaftet. Er soll der NSU eine Waffe besorgt haben.

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Es ist ein Auftritt, dem Abgeordnete wie Eva Högl (SPD) mit größter Spannung entgegensehen. Sie fragt sich, warum die Mörder ausschließlich im Umfeld der Opfer gesucht wurden, die alle ausnahmslos Migranten waren. Sie ärgert sich, dass ein schon damals denkbarer rechtsextremer Hintergrund „systematisch ausgeblendet wurde“. Sie möchte wissen, ob der Brandbrief bis zum Innenminister gelangte und warum Schäuble die Ermittlungen nicht dem BKA übertrug. „Er hätte es tun müssen“, glaubt Högl. Zumindest wäre er dazu befugt gewesen. Nach dem Gesetz hätte er die Strafverfolgung den Landesbehörden - im konkreten Fall: Bayern - „aus schwerwiegenden Gründen“ durchaus entziehen können.

Wollte Wolfgang Schäuble (CDU) Streit mit Günther Beckstein (CSU) vermeiden?

Nicht nur als Kriminalist hatte Falk die richtigen Reflexe. Man kann ihm auch schlecht vorwerfen, er sei blind auf dem rechten Auge. Im Gegenteil. Schon Jahre zuvor, auf der Herbsttagung des BKA Ende 2000, hatte Falk gewarnt: „Die Zahl der rechtsextremistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Straftaten ist deutlich höher als durch die Statistik ausgewiesen.“ In aller Öffentlichkeit korrigierte er damals Innenminister Otto Schily (SPD).

Man wusste auch, dass Rechtsextreme sich um Waffen und Sprengstoff bemühten. Warum dennoch das Risiko eines Rechtsterrorismus verharmlost wurde, warum bei der Mordserie keine Verbindung zur rechten Szene geprüft wurde, das treibt Politiker aller Parteien um. Die Opposition vermutet, dass Schäuble einen Konflikt mit seinem bayrischen Amtskollegen Günther Beckstein (CSU) scheute. Durfte das BKA also nicht ran, weil man das als Misstrauen gegenüber den bayrischen Kollegen ausgelegt hätte? Ging es letztlich um politische Einflussnahme, Ämterrivalitäten und Kompetenzstreit?