Essen. . 20 Jahre nach der Weltklimakonferenz von Rio de Janeiro startet an diesem Mittwoch erneut ein Erd-Gipfel in Rio. Dem früheren Bundes-Umweltminister Klaus Töpfer fehlt die Aufbruchstimmung, damit der Gipfel tatsächlich Verbesserungen bringen kann.

Den „Geist von Rio“ hat er hautnah miterlebt: Klaus Töpfer war 1992 als Bundesumweltminister Kopf der deutschen Delegation und maßgeblich daran beteiligt, dass die Konferenz ein Erfolg wurde. Heute ist der 73-Jährige u.a. Vizepräsident der Welthungerhilfe und Gründungsdirektor des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS.

Beim „Erdgipfel“ 1992 verständigte sich die internationale Staatengemeinschaft auf ehrgeizige ökologische und soziale Ziele. Zwanzig Jahre später ist der Ausstoß von Treibhausgasen angestiegen, wir erleben Ernährungs-, Wirtschafts- und Finanzkrisen. Warum war Rio 1992 so wenig nachhaltig?

Klaus Töpfer: Man muss dieses Urteil etwas revidieren und die geänderten Rahmenbedingungen mit einbeziehen. Es gibt eine klare Veränderung in der politischen und wirtschaftlichen Machtverteilung in der Welt. Vor zwanzig Jahren war Brasilien noch ein Entwicklungsland. Jetzt ist es zu einer der wichtigsten Wirtschaftsmächte in der Welt geworden. Das gilt auch für China, Indien oder Südafrika.

„Es kann nicht sein, dass niemand gegen die Märkte Politik machen kann“

Aber irgendetwas läuft doch falsch…

Klaus Töpfer: Die Weltgemeinschaft handelt noch immer unter einem Kurzfrist-Mandat. Man ist permanent bemüht, Fortschritte und aktuellen Wohlstand zu erarbeiten, und das auf Kosten der Zukunft. Es ist bedrückend zu sehen, dass alle auf den G-20-Gipfel in Mexiko fixiert sind oder auf die Entwicklung Griechenlands, weil die Welt Angst um die Stabilität des Weltfinanzsystems hat – aber gleichzeitig dieses Weltfinanzsystem bei den Verhandlungen in Rio überhaupt keine Rolle spielt.

Warum sollte es das?

Klaus Töpfer: Wir müssen unbedingt zu einer Veränderung der Strukturen dieses Finanzsystems kommen, denn das ist es, was Nachhaltigkeit permanent infrage stellt. Es kann nicht sein, dass niemand gegen die Märkte Politik machen kann. Zurzeit geht es doch scheinbar nur noch darum, Brände zu löschen. Es ist dringend zu fragen, ob das Löschwasser nicht noch mehr Schäden anrichtet und verhindert, dass neue Strukturen entstehen können.

Sie plädieren für eine Revolution.

Klaus Töpfer: Das ist nicht systemrevolutionäres Denken, sondern die Konsequenz aus dem, was die aktuelle Situation der Krisen erfordert. Aus massiven Schulden im Finanzbereich, aus massiveren Schulden im Bereich des Umweltkapitals, aus noch mehr Problemen im sozialen Bereich.

Deutschland kommt mit einer wichtigen Botschaft nach Rio

Meine Großmutter hat immer gesagt: Gib nicht mehr aus, als du hast. Das ist das Grundprinzip von Nachhaltigkeit. Warum fällt es der Menschheit so schwer, so ein einfaches Prinzip umzusetzen?

Klaus Töpfer: Wir verstoßen seit der industriellen Revolution, also seit mehr als 100 Jahren gegen diese Erkenntnis. Wir haben massive Schulden bei der Natur, wir reinvestieren zu wenig in die Natur, wir nutzen nicht erneuerbare Energien, mit denen wir die Umwelt erheblich verschmutzen. Deswegen kommt Deutschland mit einer wichtigen Botschaft nach Rio: Man kann auch ein hoch entwickeltes Industrieland mit erneuerbaren Energien stabil halten. Das ist ein wichtiger Beitrag, um zu zeigen, dass es wirtschaftlichen Wohlstand und Wachstum geben kann, ohne dass man auf Kosten zukünftiger Generationen lebt.

Diese Botschaft überbringt allerdings nicht die Kanzlerin. Sie hat, wie andere Staatschefs auch, ihre Teilnahme abgesagt. Ist Nachhaltigkeit zu einem Luxusthema geworden?

Klaus Töpfer: Die Besorgnis ist groß. Aber das sollte man nicht allein am Terminkalender der Kanzlerin festmachen. Generell gibt es, wie ich schon sagte, einen verhängnisvollen Hang zu kurzfristigen Entscheidungen.

In Rio wird auch über die Chancen einer grünen Wirtschaft gesprochen. Wäre es nicht Zeit, sich vom Wachstumsfetischismus zu verabschieden?

Klaus Töpfer: Eine solche Änderung müsste bei uns beginnen. Sie können einem Kontinent wie Afrika keinen Wachstumsfetischismus vorwerfen, wo Abermillionen mit weniger als einem Dollar am Tag leben müssen. Das Wachstum in den Industrieländern muss so umstrukturiert werden, dass es umwelt- und sozialverträglich wird. Anders erreichen wir für unsere Vorstellungen keine Akzeptanz bei den Entwicklungsländern. Darüber müssen wir hier in Rio sprechen.

In Rio ist keine entscheidende Weichenstellung zu erwarten

Rio 1992 hat zwölf Tage gedauert. Für Rio +20 sind gerade einmal drei Tage angesetzt. Glauben Sie ernsthaft daran, dass diese Konferenz Erfolg haben wird?

Klaus Töpfer: Ich bin keineswegs blauäugig optimistisch. Wir werden hier keine entscheidenden Weichenstellungen justieren können. Es wird kein strahlendes Ergebnis werden, mit dem eine neue Art des Wachstums verbindlich in die Wege geleitet wird, durch das Armut bekämpft wird, ohne die Stabilität der Welt zu gefährden. Die Länder des Südens werden großes Gewicht darauf legen, dass wirtschaftliche Entwicklung machbar bleibt. Und sie werden uns belegen, dass wir genauso wenig nachhaltig in unserem Wachstums-, Wohlstands- und Lebensstil sind, wie sie bei ihren Aufbaubemühungen.

Hört sich nicht nach einer hoffnungsvollen Stimmung an wie 1992.

Klaus Töpfer: Damals war es eine gänzlich andere Welt. Wir waren getragen von Euphorie. Die Sowjetunion war zusammengebrochen, die Mauer war überwunden. Wir glaubten die Chance zu haben, die Welt neu zu gestalten, Armut weltweit zu überwinden und einen neuen „kalten Krieg“ zwischen Arm und Reich verhindern zu können. Diese Aufbruchs-Atmosphäre ist jetzt gänzlich weg. Gerade unter den Vertretern der Zivilgesellschaft und der Nichtregierungsorganisationen gibt es massiven Protest dagegen, dass wir uns unter dem Diktat der drohenden weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise befinden und deshalb das, was alle als mittel- und langfristig notwendig ansehen, nicht voranbringen können.