Bonn/Rio. . Die Suche nach dem Geist von Rio beginnt. 20 Jahre nach dem „Erdgipfel“, der für einzigartige Aufbruchstimmung sorgte, sind die Erwartungen gedämpft. Merkels Fernbleiben sorgt für Enttäuschung.

Vor 20 Jahren eroberte sich die „Nachhaltigkeit“ einen festen Platz in unserem Wortschatz. Der Gipfel von Rio war ein „Meilenstein für die Weltpolitik“, sagt der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Professor Dirk Messner, im Interview mit der WR. Die Erwartungen an das Treffen „Rio plus 20“, das morgen beginnt, sind gedämpft.

Herr Messner, vor 20 Jahren stand Rio für einen Aufbruch.

Dirk Messner: Die Rio-Konferenz von 1992 wurde als „Erdkonferenz“ bezeichnet. Sie war mit der großen Hoffnung verbunden, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges gelingen könnte, globale Anstrengungen zum Schutz der großen Gemeinschaftsgüter zu mobilisieren: Es ging um das Klima, die globalen Wälder, die Eindämmung der Wüstenbildung und den Erhalt der weltweiten Agrarflächen.

Das Wort „Nachhaltigkeit“ war in aller Munde.

Die Konferenz war ein Meilenstein der Weltpolitik. Eine neue Qualität internationaler Kooperation, der Schutz des Erdsystems, eine umweltverträgliche Weltwirtschaft und die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Gestaltung der Globalisierung standen auf der Tagesordnung. Es herrschte Aufbruchsstimmung.

Die ist wieder verflogen?

In Rio 1992 hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf eine visionäre Nachhaltigkeitsagenda für das 21. Jahrhundert geeinigt. Doch in der Realität der Weltwirtschaft dominierte noch das alte Wachstumsdenken, das von der Illusion grenzenloser Ressourcenverfügbarkeit ausging.

Ist das nicht bis heute so?

Die Erwartungen an Rio 2012 sind eher gering. Niemand geht von großen Durchbrüchen aus. Die Zahl der Staats- und Regierungschefs ist überschaubar. Man könnte meinen, wir erleben einen großen Rückschlag in den Anstrengungen, zu einer nachhaltigen Weltwirtschaft zu kommen.

Sie sehen das nicht so schwarz?

Das Bild ist vielschichtiger. In wichtigen Bereichen hat es seit 1992 beachtliche Fortschritte gegeben: Wir wissen heute viel besser, wie nachhaltige Wirtschaftspolitik, die die Grenzen des Erdsystems anerkennt, gemacht wird. Wir können die Kosten und Nutzen einer Wende zur Nachhaltigkeit präzise benennen. In vielen Sektoren stehen uns zudem viel bessere Technologien zur Verfügung, um Ressourceneffizienz und Energieeffizienz zu steigern.

Bei der Nutzung hapert es aber.

Eine auf Erneuerbaren Energien basierende Energieproduktion war 1992 eine Vision, die viele als Utopia belächelt haben. Seit 2011 verfolgen wir in Deutschland eine Energiewende, die radikal auf die Erneuerbaren Energien setzt – auf Grundlage eines breiten gesellschaftlichen Konsenses.

Deutschland allein macht noch keine globale Bewegung aus.

Ähnliche Anstrengungen gibt es in vielen Ländern, in Brasilien, Südafrika, Indien, China und auch in armen afrikanischen Ländern. Zudem entdecken viele Unternehmen, dass grüne Innovationstechnologien das vielleicht wichtigste Investitionsfeld der kommenden Dekaden darstellt. Im letzten Jahr entfielen in der EU etwa 70 Prozent der Investitionen im Energiesektor auf die Erneuerbaren.

Das hört sich überraschend positiv an. Warum sind dann die Erwartungen an Rio 2012 so gering?

Ja, es gibt viele positive Entwicklungen in vielen Unternehmen und in vielen Ländern. Aber es gelingt nicht, globale Verträge zu schließen, um diese vielen positiven Dynamiken zu bündeln, zu verstetigen und zu beschleunigen. Im Klimabereich ist das am offensichtlichsten. Es gab weltweit noch nie höhere klimaverträgliche Investitionen, trotzdem steigen die Emissionen weiter.

Woran liegt das?

Das liegt daran, dass wir weltweit kein verbindliches Klimaregime haben, das klimaschädliche Investitionen verhindert. Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Kipp-Punkt-Situation. Das alte Wachstumsmodell ist noch da, das neue wächst, aber nicht schnell genug. In dieser Situation wären internationale Leitplanken und Standards wichtig, um grüne Entwicklungsdynamiken zu stärken. Doch derzeit gelingt es kaum, globale Vereinbarungen voranzubringen, die zu einem grünen Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft führten.

Was ist von Rio noch zu erwarten?

Es wäre wichtig, die UN-Umweltorganisation UNEP zu stärken, die von dem Deutschen Achim Steiner geleitet wird. Es wäre auch sinnvoll, einen UN-Rat für nachhaltige Entwicklung zu schaffen, der nach und nach so wichtig werden müsste, wie der UN-Sicherheitsrat. Wie Wohlstand und sozialer Fortschritt für bald neun Milliarden Menschen in den enger werdenden Grenzen des Erdsystems gesichert werden kann, das ist die größte Herausforderung für das 21. Jahrhundert.