Potsdam. . Der Energiebedarf wird kräftig steigen, warnen Experten. Die CO2-Ziele rücken in weite Ferne.
Die Emissionen steigen, die Klimapolitik steckt fest: Die Zeit für einen zügigen Umbau der Energieversorgung wird knapp, sagen Ökonomen und Klimaforscher. Sollte die Politik sich nicht zu einem raschen Kurswechsel durchringen können, wird die weltweite Energieversorgung in den nächsten Jahren immer „unsicherer, ineffizienter und klimaschädlicher“, stellt die Internationale Energieagentur IEA in ihrem neuen Jahresbericht fest. Es sind dramatische Prognosen.
Der Energiehunger
Trotz aller Appelle zu mehr Klimaschutz und Energiesparen: Der weltweite Energieverbrauch wird bis 2035 um ein Drittel steigen, erwartet die IEA. 90 Prozent des zusätzlichen Bedarfs an Öl, Kohle und Gas komme dabei aus Schwellenländern wie China und Indien. China werde in 2035 rund 70 Prozent mehr Energie konsumieren als die USA. Aber selbst dann werde der Pro-Kopf-Verbrauch eines Chinesen nur halb so hoch wie der eines US-Bürgers sein.
Der Energiehunger verzehre die Klimaziele, schreibt die IEA. Der weiterhin hohe Verbrauch von Kohle und Öl führe unter Beibehaltung heutiger Klimapolitik wegen der CO2-Emissionen zu einer langfristigen Erderwärmung um 3,5 Grad Celsius. Würden die Politikziele gar nicht mehr umgesetzt, könnten es sogar sechs Grad Celsius sein.
Das Klimaproblem
Als grobes Richtmaß der Klimawissenschaft aber gilt: Der globale Temperaturanstieg muss auf zwei Grad begrenzt werden, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen. „Wir können es uns nicht leisten, über eine jährliche Menge von CO2-Emissionen zu sprechen. Wir sollten uns an der Gesamtmenge orientieren, die wir noch in die Atmosphäre entlassen dürfen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen“, sagt Stefan Rahmstorf. Der Wissenschaftler leitet am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung den Bereich Erdsystemanalyse. Er warnt: „Wir haben die Menge in knapp 20 Jahren aufgebraucht.“
Heute liege die globale Mitteltemperatur 0,8 Grad über dem vorindustriellem Niveau, sagt Rahmstorf. „Es gibt kein Abflachen des Erwärmungstrends, es gibt keine Pause.“ Nach Daten der US-Ozeanografiebehörde NOAA und der Nasa war 2010 eines der wärmsten Jahre. „Wir haben es nicht bemerkt, weil der Schwerpunkt in Osteuropa lag.“ Analysen des Potsdam-Instituts ergaben, dass die Hitzewelle in der Region um Moskau mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent keine natürliche Schwankung, sondern Folge der langfristigen Erwärmung gewesen sei. In Moskau habe sich in den letzten zehn Jahren die Wahrscheinlichkeit, dass die Bürger im Juli einen neuen Hitzerekord erleben, verfünffacht.
Das Eis der Arktis schmilzt schneller als befürchtet. „Die Eisdicke nimmt vier Mal so schnell ab wie in den Szenarien des Weltklimarates IPCC vorhergesagt“, sagt Rahmstorf mit Verweis auf neue Studien. Das Volumen des Eises sei in den vergangenen drei Jahrzehnten um zwei Drittel zurückgegangen. Bis Ende des Jahrhunderts werde der Meeresspiegel voraussichtlich um rund einen Meter ansteigen, im besten Fall um 75 Zentimeter, im schlechtesten Fall um 1,90 Meter. „Die Realität überholt die Klimarechenmodell“, sagt Rahmstorf. „Es wäre schön, wenn es anders wäre.“
Das Versagen der Politik
Für den Klimaökonom Ottmar Edenhofer, stellvertretender Chef des Potsdam Instituts, ist das Scheitern des in Kürze beginnenden UN-Klimagipfels in Durban „schon jetzt eingepreist“. Die internationalen Klimaschutz-Verhandlungen unter dem Dach der UN seien ein „miserables Mittel, um Kompromisse auszuloten“. Er schlägt vor, die weiteren Schritte im Kreis der weltweit größten CO2-Emittenten zu beraten. Edenhofer plädiert zudem für das weltweite Streichen der Subventionen für fossile Brennstoffe. Alleine die Industriestaaten könnten so jährlich bis zu 30 Milliarden Dollar einsparen. „Inmitten der Finanzkrise ist das eine Chance für verschuldete Länder.“