Berlin. . Spanien, Portugal, Zypern, Irland - die Krise zieht ihre Kreise. Doch keines dieser Länder hat über seine Verhältnisse gelebt. Im Gegenteil: Spanien und Irland brillierten vor 2008 sogar mit einem viel geringeren Schuldenstand als der vermeintliche Sparmeister Deutschland. Tatsächlich reichen die Banken Europa in den Abgrund - eine Analyse.
Die Krise in Europa steuert auf einen neuen, dramatischen Höhepunkt zu. In Spanien ziehen marode Banken das Land in den Abgrund, und auch in Zypern, Irland und Portugal sind es erneut kapitalklamme Geldhäuser, die den ganzen Kontinent in einen Abwärtsstrudel reißen könnten. Madrid räumte am Dienstag zum ersten Mal offen Probleme bei der Refinanzierung seiner Staatsschulden ein. Die Zinsen für spanische Staatsanleihen klettern jeden Tag auf neue Höchststände, der Zugang zum Kapitalmarkt ist für den spanischen Staat faktisch verschlossen, wie Finanzminister Christobal Montoro eingestand.
Und doch: Nur vordergründig steckt Spanien in einer originären „Staatsschuldenkrise“ - ebenso wenig wie Irland, Zypern oder Portugal durch eine unsolide Haushaltspolitik in die Krise getrieben wurden. Mit Ausnahme Griechenlands hat kein Land der Eurozone in den letzten Jahren „über seine Verhältnisse gelebt“, auch wenn das immer wieder gerne behauptet wird.
Die Verantwortung wird verschleiert
Im Gegenteil: Spanien und Irland brillierten vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 sogar mit einem viel geringeren Schuldenstand als der vermeintliche Spar-Europameister Deutschland. Spanien war 2007 mit nur 36 Prozent im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung verschuldet, Irland mit weniger als 50 Prozent. Der Vergleichswert für Deutschland lag seinerzeit bei über 60 Prozent, und auch heute noch ist der öffentliche Schuldenstand in Deutschland höher als im Krisenland Spanien. Madrid und Dublin wiesen vor der Krise sogar laufende Haushaltsüberschüsse auf.
„Schulden gemacht hat der Privatsektor, haben die Firmen und Privatleute - und als die Finanzkrise kam, mussten die Regierungen die Scherben aufsammeln“, sagt der belgische Ökonom Paul de Grauwe. Mit verdient haben dabei an vorderster Front die Banken, die mit billigen Krediten zum Beispiel die Blasen am Häusermarkt aufgepumpt haben.
Auf die falsche Fährte gelockt
Damit wird aber auch allzu offensichtlich: Begriffe wie „Schuldenkrise“ oder „Staatsschuldenkrise“ sind in Wahrheit reiner Etikettenschwindel – die entweder unüberlegt, von interessierter Seite wie den Banken jedoch mit voller Absicht eingesetzt werden, um die wahren Verantwortlichkeiten für die Probleme Europas zu verschleiern. Führende Bankmanager lassen sich immer wieder mit der Einlassung vernehmen, es gebe einfach keine Banken-, sondern nur eine Staatsschuldenkrise. Nichts könnte ferner der Realität sein.
So aber wurde aus einer „Finanzkrise“ im öffentlichen Bewusstsein eine „Schuldenkrise“, die in Wahrheit noch immer eine Bankenkrise ist, wie sich jetzt in Spanien wieder eindrucksvoll zeigt. Von der iberischen Krise sind auch deutsche Banken massiv betroffen: Allein die Deutsche Bank hatte Ende März rund 29 Milliarden Euro offene Kredite in ihren Büchern, insgesamt stehen deutsche Banken mit mehr als 100 Milliarden Euro im Feuer.
Während die Wirtschaftsweisen in ihrem letzten Jahresgutachten deshalb noch vornehm zurückhaltend von einer „Zwillingskrise“ — Bank und Staat – sprechen, nennt Ratsmitglied Peter Bofinger Roß und Reiter unverblümt: Die Öffentlichkeit werde mit dem Begriff „Schuldenkrise“ auf eine falsche Fährte gelockt, empört sich Bofinger. „Damit wird verschleiert, dass wir eigentlich eine Krise der Finanzwirtschaft und der Banken haben, weil diese sich in Spekulationen statt in solider Kreditfinanzierung verausgabt haben“, schreibt der Ökonom.
Hoheit über die Sprache zieht freilich auch die Deutungshoheit über die Wirklichkeit nach sich. In dieser Weltsicht fließen die Rettungsmilliarden der europäischen Steuerzahler in pharaonischer Größenordnung angeblich in die Staatskassen – und nicht an Banken, Versicherungen und Gläubiger von Staatspapieren. Das ist freilich ziemlicher Unsinn: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass sämtliche Hilfen an Athen sofort wieder an die Gläubiger Griechenlands zurückfließen. An Banken in Deutschland, in Frankreich oder an reiche Griechen aus dem Finanzsektor.
Effektiver Finanzkreislauf
„Man schickt das Geld und nennt es Kredit - und bekommt es zurück und nennt es Zinsen“, fasst Stephane Deo von der Schweizer Großbank UBS den eigentümlichen Geld-Kreislauf in Europa zusammen. Anders gewendet: Bei griechischen Pensionären, Arbeitslosen und anderen einfachen Bürgern landet kein Cent der Rettungsmilliarden. Auch hier wird wieder deutlich: Die Banken haben mit Hilfe der Politik einen höchst effektiven Finanzkreislauf etabliert, den keiner mehr durchschaut, bei dem sie am Ende aber immer die Gewinner sind.
Und wer das bezahlt, ist auch klar: Laut „Haftungspegel“ des Münchener Ifo-Instituts summieren sich die Risiken für Europas Steuerzahler inzwischen auf mehr als zwei Billionen Euro, allein auf Deutschland entfallen dabei 641 Milliarden. „Wenn wir heute Milliarden für die Oligarchie der Wallstreet aufwenden, warum dann nicht auch maßvolle Beiträge für jene, die direkt unter den Folgen der Krise zu leiden haben”, fragt vor diesem Hintergrund Otto Scharmer, Forscher am MIT in Cambridge für die USA.
Für Europa stellt sich dieselbe Frage inzwischen mindestens genauso dringlich.