Moskau. . Nach vier Jahren kehrt Wladimir Putin ins mächtigste Amt Russlands zurück. Die einstige Supermacht steht vor einer neuen Ära: Zwölf weitere Jahre Putin sind möglich - weil das Tandem Putin-Medwedew die Posten tauscht. Dabei ist das Prinzip der Treue wichtiger als Medwedews liberale Gesinnung.
Zum ersten Mal fiel das Tandem Ende der 80er-Jahre öffentlich auf. Zwei kleine Männer, die hinter einem Tisch im Vorzimmer des Leningrader Stadtdeputierten Anatoli Sobtschak saßen. Die Frisur des Älteren, Wladimir Putin, war ungepflegt, sein zu kleines Sakko zerknittert. Der Jüngere dagegen, Dmitri Medwedew, trug einen dunklen Maßanzug und ein strahlend weißes Hemd. „Aber es gab keinen Zweifel, wer an diesem Tisch der Chef war“, erinnert sich ein Augenzeuge. „Putin.“
Das Tandem existiert weiter, auf höchstem Niveau. Aber in den vergangenen vier Jahren konnte man streiten, wer – zumindest formal – der Chef war. Putin hatte den alt vertrauten Petersburger Juniorpartner 2008 zu seinem Nachfolger als Staatschef gemacht, weil die russische Verfassung mehr als zwei Präsidentschaftsperioden in Folge untersagt. Und als Regierungschef selbst das zweite Amt im Staat übernommen. In dieser Zeit besaß Medwedew die Befugnis, Putin Anweisungen zu geben, ihn sogar zu entlassen.
Vor allem westliche Beobachter spekulierten, ob Medwedew im Gefühl der Machtfülle des Kremlherrn gegen Putin Front machen könne.
Liberaler Pathos
Tatsächlich gab es Momente, da schien es, als sei Medwedew drauf und dran, seinen früheren Mentor nicht nur aus den Schlagzeilen zu verdrängen. Im September 2009 veröffentlichte er den Artikel „Vorwärts Russland“, in dem er aufrief, eine innovative Wirtschaft und eine parlamentarische Demokratie mit frei konkurrierenden Parteien zu schaffen. „Einflussreiche Gruppen käuflicher Politiker und untätiger ,Unternehmer’ werden versuchen, unsere Arbeit zu stören“, schrieb er. „Sie wollen bis zum Ende des Jahrhunderts Profit machen, indem sie Rohstoffe verramschen, die uns alle gehören. Sie schaffen nichts Neues, wollen keine Entwicklung, sondern fürchten sie. Aber die Zukunft gehört uns.“ Mit diesen Worten hätte Medwedew auch bei den Massenprotesten gegen Putin im vergangenen Winter auftreten können.
Tatsächlich ist solch liberaler Pathos nur schwer mit den Witzeleien zu vereinbaren, die Putin gebrauchte, um fehlende politische Konkurrenz oder die wuchernde Korruption zu verharmlosen. Aber Medwedew ließ Untätigkeit folgen. Er entließ einen einzigen Minister Putins. Und das war bezeichnenderweise ein Liberaler, Finanzminister Alexej Kudrin.
Die Korruption wächst weiter, hat inzwischen einen Umfang von über 300 Milliarden Dollar im Jahr erreicht. Ebenso ausufernd entwickelt sich die Bürokratie (1,9 Millionen Beamte), auf der anderen Seite gelten 60 Prozent der Infrastruktur Russlands als schrottreif.
Stagnation auf hohem Niveau
Als Liberaler und Reformer ist Medwedew eine Enttäuschung. Aber politische Überzeugungen sind in der Putinschen Machtelite Nebensache. Ganz offenbar besaß Präsident Medwedew das Recht, alles zu äußern, was er wollte. Aber ebenso offensichtlich hatte er mit Putin vereinbart, nie ohne dessen Zustimmung zu handeln. „Medwedew verdankt Putin fast seine gesamte Karriere“, sagt der Politologe Alexej Muchin. „Nach dem Ehrenkodex der Topbürokratie kann er ihn nicht verraten.“ Mit anderen Worten: Putin bleibt der Chef.
Die Stagnation aber, die viele mit der Rückkehr Putins befürchten – sie ist bereits vor vier Jahren eingetreten. Allerdings auf einem ästhetisch hohen Niveau: Medwedew verkaufte Russland voller Eifer als erfolgreich, offen und reformwillig, wenn auch noch nicht reformfähig. Ein schönes Trugbild.
Mit der Rochade im Tandem übernimmt Putin am Montag auch die Außenpolitik wieder, mit der Charme-Offensive ist es nun also vorbei.
Und Medwedew demonstrierte in einer seiner letzten Amtshandlungen, was innenpolitisch wirklich zählt: Loyalität. Er zeichnete eine Reihe von Putins Lieblingsbeamten mit hohen Orden aus, darunter Wladimir Tschurow, den Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission, der als Hauptorganisator der Wahlfälschungen bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Winter gilt. Auch dies ist eine Verabschiedung von demokratischen Reformen.
Nun wartet Russland, wie sich Medwedew akustisch entwickeln wird. Früher als Vizepremier und in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft ahmte er Wladimir Putins Redeweise perfekt wie ein Stimmenimitator nach, inzwischen hat er eigenes Vokalprofil zurück gewonnen.
Gut möglich, dass er sich nun wieder bemüht, den Chef möglichst genau zu kopieren.