Paris. Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich könnte es erstmals seit 1988 wieder einen Wahlsieg für die Sozialisten geben. Ersten Hochrechnungen zufolge liegt Sozialist François Hollande mit 28 bis 30 Prozent vor Nicolas Sarkozy, der auf 25 bis 27 Prozent kommt. Für die für 6. Mai geplanten Stichwahl wird Hollande ein großer Vorsprung vorhergesagt.
Nicolas Sarkozys wählt im "Lycée la Fontaine" im vornehmen 16. Pariser Arrondissement. Als er um kurz vor zwölf mit "Première Dame" Carla Bruni und einem Tross Leibwächter winkend das Schulgebäude verlässt, schlägt ihm warmer Beifall der Schaulustigen entgegen. Das Paar lächelt. Fünf Stunden später, wieder zurück im Elysée-Palast, hat der Präsident seine engsten Mitarbeiter und Minister um sich geschart. Bunkerstimmung macht sich breit und ein Hauch von Götterdämmerung.
Denn die Zahlen, die sie ihm nun in kurzen Abständen vorlegen, verheißen wenig Gutes. In allen Schätzungen liegt der sozialistische Herausforderer Francois Hollande vorn. Es riecht nach Machtwechsel.
Sozialsten feiern den Etappensieg, als sei der Elysée schon erobert
Um 19 Uhr bricht die französische Nachrichtenagentur AFP das verabredete Embargo und setzt eine Meldung ab. Sie bestätigt die Niederlage des Präsidenten im ersten Wahlgang und lässt die Mienen des Sarkozy-Clans verfinstern. Hollande liegt danach mit 28 bis 29 Prozent klar vor Nicolas Sarkozy (25 bis 26 Prozent). Zur Erinnerung: 2007 hatte Sarkozy die erste Runde noch überzeugend klar mit mehr als 31 Prozent gewonnen.
Kurz nach 20 Uhr schlägt die von BFM-TV verbreitete Hochrechnung ein wie eine Bombe: Hollande 29,3 Prozent, Sarkozy mit 26,0 Prozent deutlich abgeschlagen auf Rang zwei. Keine zwei Kilometer entfernt, in der Rue de Solférino, bricht im selben Moment frenetischer Jubel aus. Tausende Sozialisten liegen sich vor dem traditionsreichen Hauptquartier der "Parti Socialiste" in den Armen. Sie feiern den Etappensieg so, als sei der Elysée schon erobert. "Die Dynamik ist jetzt auf Seiten von Francois Hollande", frohlockt Ex-Minister Jack Lang. Doch Parteisprecher Benoît Hamon mahnt zur Vorsicht: "Noch ist nichts entschieden."
Hollande ist haushoher Favorit für die Stichwahl am 6. Mai
Die Entscheidung im Kampf um den Elysée-Palast fällt erst in der Stichwahl am 6. Mai, in der Hollande Umfragen zufolge (57-43 Prozent) haushoher Favorit ist. Mit Spannung wird nun erwartet, welche Empfehlung die unterlegenen Kandidaten aussprechen. Den drittgrößten Stimmenanteil (ca. 19,5 Prozent), weit mehr als Umfragen prognostiziert hatten, erzielt die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen. Es ist das beste Ergebnis in der Geschichte des "Front National" - eine kleine Sensation. Mit deutlichem Abstand verweist sie den linksradikalen Volkstribun Jean-Luc Mélenchon (11,7 Prozent) auf den vierten Platz, gefolgt vom Zentristen Francois Bayrou (8,7 Prozent) und der abgeschlagenen Grünen Eva Joly (2 Prozent).
Die Angst vor einer dramatisch niedrigen Wahlbeteiligung hat sich als unberechtigt erwiesen. Denn entgegen aller düsteren Prognosen erfüllen die Franzosen an diesem Sonntag ihre staatsbürgerliche Pflicht. Nur jeder Fünfte bleibt den Urnen fern. Das sind zwar gut drei Prozentpunkte mehr als 2007, aber weitaus weniger als bei der Katastrophenwahl 2002 (28,4 Prozent ). Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl lag die Beteiligung bei nur noch 70, 8 Prozent.
Vor fünf Jahren noch Sarkozy, heute Hollande
Das "Bureau de vote No. 40" liegt in einer Grundschule in der Rue St. Maur im 11. Pariser Bezirká. Die alte Turnhalle haben sie zum Wahllokal umfunktioniert. Mit einem milden Lächeln schaut die in Gips gegossene "Marianne", die Nationalfigur der Republik, auf die Wähler. Niedrige Beteiligung? Hier bestimmt nicht. Um kurz nach elf reicht die Schlange zeitweilig sogar bis auf den Bürgersteig. Die Kunststudentin Océane (23) ist mit ihrer Großmutter Hélène gekommen, die an Krücken gefesselt ist.
Nur ein Steinwurf entfernt, im Wahlbüro No. 2, in der Avenue Parmentier, herrscht ebenfalls starker Andrang. Es ist kurz vor zwei, da sagt Wahlvorstand Jean-Pierre knapp: "Zwanzig Minuten Wartezeit." Fünf Jahre zuvor sei die Wahlbeteiligung zur selben Stunde weitaus niedriger gewesen. Hélène muss gut zehn Minuten anstehen, bis sie den blauen Umschlag in den Schlitz der transparenten Urne werfen darf. Die, die vor fünf Jahren noch Sarkozy gewählt hatte, gesteht: "Jetzt bin ich für Hollande."
44,3 Millionen Franzosen sind aufgerufen, das neunte Staatsoberhaupt seit der ersten Direktwahl 1965 zu wählen. Als die Lokale um 8 Uhr öffnen, haben die rund 900.000 Wahlberechtigten in den Übersee-Départements Guyana, Martinique und Guadeloupe längst ihre Stimme abgegeben. Wegen der Zeitverschiebung mussten sie schon am Samstag an die Urnen. Allein 31.000 Franzosen wählten im kanadischen Montreal. Auf dem Lande schließen die Wahllokale am Sonntag um 18 Uhr, nur in Großstädten wie Paris und Marseille darf noch bis 20 Uhr gewählt werden.
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