Karlsruhe. “Freiheitsthesen“ statt “Wiesbadener Grundsätze“: Nach 15 Jahren hat die FDP bei ihrem Bundesparteitag in Karlsruhe ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Die Liberalen wollen sich als Europa- und Freiheitspartei profilieren. Parteichef Philipp Rösler rief das “Ende der Selbstbeschäftigung“ aus.
Die FDP hat nach 15 Jahren ein neues Grundsatzprogramm. Bei nur 23 Gegenstimmen beschloss der Bundesparteitag der Liberalen am Sonntag in Karlsruhe mit großer Mehrheit die neuen "Freiheitsthesen". Damit will sich die FDP als Europa- und Freiheitspartei profilieren. Zugleich griffen die Liberalen die Union an und wollen auf Kosten des Koalitionspartners im Bund Stimmen bei den anstehenden Landtagswahlen sammeln. Die Urnengänge in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden parteiintern als letzte Bewährungschance für den angeschlagenen FDP-Chef Philipp Rösler gesehen.
Rösler selbst bewertete den Parteitag als Ende der Selbstbeschäftigung. Es gebe ein klares Signal der Geschlossenheit nach innen und ein Signal des Aufbruchs nach außen, sagte er und betonte: "Wir sind wieder da, mit uns ist zu rechnen." Generalsekretär Patrick Döring fügte hinzu, die FDP habe gezeigt, dass man den Liberalismus weiterentwickeln kann, "ohne die Traditionen zu verraten". Sein Fazit: "Wir sind gerüstet für die Debatten dieser Zeit."
Wachstum ist der Kerngedanke der "Freiheitsthesen"
Die "Freiheitsthesen" lösen die bisher gültigen "Wiesbadener Grundsätze" von 1997 ab. Sie enthalten programmatische Festlegungen zu liberaler Wirtschafts-, Innen - und Außenpolitik, Gesellschaft, Recht und Kultur. "Wachstum" ist der Kerngedanke. Dabei stellte Rösler dieses Konzept auf "drei Säulen": Toleranz und Bürgerrechte, Bildung und Innovation sowie wirtschaftliche Vernunft.
Darüber hinaus bekennt sich die FDP zu einem strikten Sparkurs und zur sozialen Marktwirtschaft, spricht sich für eine Wirtschaftsethik und für regulierte Märkte aus. Sie will auch ein einfaches und gerechtes Steuersystem. Ziel der FDP ist zudem "ein durch Volksabstimmungen in den Mitgliedstaaten legitimierter europäischer Bundesstaat". Auch grenzten sich die Liberalen von den Piraten ab, indem sie sich für den Schutz des geistigen Eigentums in der digitalen Welt aussprachen.
Keine "Warmduscher" und "Vorwärtseinparker"
Wie Parteichef Philipp Rösler rief auch der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle beim Parteitag in Karlsruhe am Sonntag die Liberalen auf, zu ihren Überzeugungen zu stehen. Die FDP werde kämpfen und gehöre nicht zu den "Warmduschern" und "Vorwärtseinparkern", sagte Brüderle unter dem Jubel der Delegierten. "Gerade heute, wo der Zeitgeist immer weiter nach links wandert, sind wir als FDP unverzichtbar als Kraft der Freiheit, als Kraft der Mitte", verortete Rösler die FDP im Parteienspektrum.
Die Liberalen müssten zu ihren Positionen stehen. In einer Demokratie könne man Wahlen, Mandate oder Ämter verlieren. "Aber man darf niemals seine Überzeugungen verlieren." Die FDP stehe für Bürgerrechte, Toleranz und eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft. Brüderle sagte an die Adresse von "Nachrufeschreibern", die FDP sei "putzmunter".
Nicht die sechste sozialdemokratische Partei
"Wir wollen nicht die sechste sozialdemokratische Partei Deutschlands sein", betonte Rösler. Die FDP sei die einzige Kraft der bürgerlichen Mitte. Auch die Union sei "nicht mehr die Kraft des Wachstums" und misstraue der Freiheit. Vor allem mit der Piratenpartei ging der FDP-Chef hart ins Gericht und bezeichnete sie als "Linkspartei mit Internetanschluss", die eine bedenkliche anonyme Debattenkultur im Netz pflege.
Außenminister Guido Westerwelle lobte das europapolitische Bekenntnis seiner Partei. "Dass die FDP mit mehr europäischer Integration die derzeitige Krise in Europa beantworten will, ist ebenso klug wie weitsichtig", sagte er. Die FDP sende ein "Signal der Verlässlichkeit" an die Bürger in Deutschland und die Partner in Europa.
FDP-Wahlkämpfer Kubicki und Lindner mit eigenen Ideen
Viel Applaus auf dem Parteitag erhielten Röslers parteiinterne Widersacher, die FDP-Wahlkämpfer Wolfgang Kubicki und Christian Lindner. Letzterer rief seine Partei zu Selbstbewusstsein, aber auch zu Bescheidenheit auf. Die FDP könne stolz auf "historische Erfolge" sein wie die soziale Marktwirtschaft, die Wiedervereinigung und die europäische Einheit. "Es hat aber in den letzten zwei Jahren auch den Verlust von Vertrauen gegeben", sagte Lindner. Deshalb sei es eine "Stilfrage", dass Liberale bescheiden auftreten.
Einen Dämpfer musste der Spitzenkandidat der FDP in Schleswig-Holstein, Kubicki, hinnehmen. Abweichend von der Parteilinie hatte er sich am Samstag für einen höheren Spitzensteuersatz von 49 Prozent bei einem Einkommen ab 250.000 Euro pro Jahr für Alleinstehende oder 500.000 Euro pro Jahr für Paare ausgesprochen. Döring zeigte sich am Sonntag skeptisch. Dafür gebe es gegenwärtig keine Mehrheit in der Partei. Ein entsprechender Antrag wurde aber auf dem Parteitag auch nicht gestellt.
Brüderle fordert liberale Stimme gegen das "linke Gesäusel"
Mit einer kämpferischen Rede überzeugte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, der die von der Union gewollte Vorratsdatenspeicherung ablehnte und dem CSU-Betreuungsgeld eine Absage erteilte. Zugleich sprach er den FDP-Wahlkämpfern Mut zu. Es gehe darum, sich aus den "bequemen Sesseln des Wohlstands" zu erheben und die liberale Stimme gegen das "linke Gesäusel" laut zu erheben, sagte er unter großem Beifall der Delegierten.
Bereits am Samstag hatte der Parteitag Otto Fricke mit unerwarteten 98 Prozent zum neuen Schatzmeister gewählt und zugleich Döring mit nur 72 Prozent Zustimmung als FDP-Generalsekretär bestätigt. Döring, der das Amt bereits vier Monate kommissarisch führt, war von Rösler vorgeschlagen worden. Daher wird sein Abschneiden bei der Wahl, das eines der schlechtesten Ergebnisse in diesem Amt der vergangenen Jahrzehnte ist, als Reaktion auf den Unmut mit dem FDP-Parteichef gewertet.
Bei den politischen Gegnern stieß der Karlsruher FDP-Parteitag auf harsche Kritik. "Für das politische Überleben hätte der FDP eine mutige Abrechnung mit den Fehlern der letzten Jahre gut getan", sagte der Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann in Berlin. Offenbar habe Parteichef Rösler dafür die Kraft gefehlt, "da er völlig damit ausgelastet ist sein eigenes politisches Überleben zu organisieren". (dapd/rtr)