Essen. . Radikale Salafisten verteilen Gratis-Korane und rechtsextreme Islam-Gegner kündigen Provokationen vor Moscheen an. In NRW scheint sich eine explosive Stimmung aufzubauen, Experten warnen vor religiösen Konflikten - die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Radikalislamisten.

Politiker und Sicherheitsbehörden beobachten mit Sorge das Verteilen von Koranen durch radikalislamische Salafisten. Während die umstrittene Aktion heute auch im Ruhrgebiet fortgesetzt werden soll, kündigen Islam-Gegner gezielte Provokationen gegen Muslime an. Die rechtspopulistische Initiative „Pro NRW“ will islamkritische Karikaturen vor Moscheen aufstellen. Experten fürchten nun religiöse Spannungen.

„Pro NRW“ bestätigte der WAZ, die Karikaturen vor 25 muslimischen Gotteshäusern aufstellen zu wollen. Die Aktion soll am 28. April in Essen beginnen. Rechtspopulisten aus Belgien und Österreich wollen sich angeblich beteiligen.

Aus Sicht von Guido Steinberg, Islamismus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, ist das ein Spiel mit dem Feuer. „Beide Gruppen, die Salafisten und die Rechten, haben zwar nur wenige Anhänger. Aber sie erzeugen womöglich großes Aufsehen und könnten größere Gruppen mit hineinziehen“, so Steinberg.

Nach dem Auftauchen eines Drohvideos gegen Journalisten der „Frankfurter Rundschau“ und des „Tagesspiegel“, die kritisch über die Verteilung des Korans berichtet hatten, wird strafrechtlich ermittelt. „Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass Journalisten bedroht und die Pressefreiheit tangiert wird“, hieß es aus dem Bundesinnenministerium.

Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Thomas Oppermann, forderte eine weitere intensive Beobachtung durch den Verfassungsschutz. „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist. Aber die Gruppe der Salafisten hat ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt und bietet einen Nährboden für Terrorismus“, sagte der SPD-Politiker. Volker Beck (Grüne), rief islamische Prediger in den Moscheen dazu auf, vor den Salafisten zu warnen, damit junge Leute nicht verführt würden.

Timo Gützelmansur, Chef der Christlich-Islamischen Begegnungsstelle der Bischofskonferenz Cibedo, glaubt nicht, dass die Muslime in Deutschland anfällig sind für die Lehren der Salafisten: „Die Mehrheit der 4,3 Millionen Muslime will friedlich ihrer Religion nachgehen.“

Gemäßigte muslimische Verbände taten sich gestern schwer mit der Beurteilung der Koran-Aktion.

Alles ganz legal

Erneut werden Salafisten heute kostenlose Korane in über 30 Städten an Passanten verteilen. Die Aktion „Lies“ des wohlhabenden und als extrem fundamentalistisch geltenden Kölner Geschäftsmanns Ibrahim Abou-Nagie ist aus der Sicht der Organisatoren schon jetzt ein Riesenerfolg. Immerhin sind sie, die ja hierzulande nur eine winzige Minderheit unter den Muslimen bilden, in aller Munde.

Nachfolgend die wichtigsten Fragen und Antworten rund um den Salafismus

Was bedeutet Salafismus?

Übersetzt aus dem Arabischen: „Die rechtschaffenen Altvorderen“. Gemeint sind die ersten drei Generationen der Muslime, sozusagen die „Gründerväter“, die dem Propheten noch besonders nahe waren. Die Bewegung entstand im vorletzten Jahrhundert in Ägypten.

Wie viele Salafisten gibt es in Deutschland?

Es gibt nur grobe Schätzungen. Zwischen 2000 und 5000 sollen es sein. Die Szene ist bunt, Experten berichten von 50 prominenten Predigern, die öffentlich auftreten, darunter der Konvertit Pierre Vogel.

Was spricht dagegen, den Koran zu verteilen?

Gar nichts. Das ist eine legitime Aktion. Die Warnungen beziehen sich ausschließlich auf die Gruppe, die den Koran verteilt: die Salafisten. „Sie vertreten ein radikal-islamisches Verständnis und legen den Koran strikt wörtlich aus. Sie sind anti-demokratisch“, erklärt Timo Güzelmansur, Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Bischofskonferenz Cibedo. Sie unterteilten die Welt in Gut und Böse, Schwarz und Weiß. „Die Salafisten lehnen den interreligiösen Dialog ab.“

Sind Salafisten gefährlich?

Güzelmansur sagt, junge Menschen, die labil seien, könnten anfällig für die Lehren der Salafisten sein. Darin könne eine Gefahr der Aktion liegen. Insgesamt gesehen ist er jedoch nicht von dem Erfolg der Verteil-Aktion überzeugt. Der Koran, sagt der Experte, sei nicht so einfach zu verstehen. „Das ist reiner Text ohne Abbildungen.“ Güzelmansur fordert, die muslimischen Dachverbände sollten Stellung beziehen. Sie sollten den Muslimen erklären, wo sie den Koran anders auslegen und warum. „Das müssen die Muslime für sich klären.“

Und was sagen die islamischen Verbände?

Vertreter der gemäßigten Muslime gingen diese Woche nur zögerlich an die Öffentlichkeit. Wer eine deutliche Verurteilung der Salafisten und ihrer Lehre erwartet hatte, wurde enttäuscht. Im Mittelpunkt stand die Sorge um die Würde des Koran. Der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Ali Kizilkaya, sagte, eine „Instrumentalisierung des Heiligen Buches“ zu Werbezwecken für eine Gruppe sei unbedingt abzulehnen. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, lehnte eine Stellungnahme am Freitag ab. Sein Verband verwies auf eine Presseerklärung vom Mittwoch. Darin hatte Mazyek gesagt, grundsätzlich sei die Verteilung des Korans „eine vielversprechende Tat im Islam“. Die millionenfache Verteilung an beliebige Haushalte nennt er aber „umstritten“. Im schlimmsten Fall werde der Koran als Altpapier weggeworfen.

Möchten die Salafisten mit ihrer Aktion lediglich die deutsche, nicht-muslimische Öffentlichkeit umwerben?

Nein, es steckt wohl mehr dahinter. „Es gibt auch Richtungskämpfe innerhalb der Salafisten-Szene. Abou-Nagie, der Kopf dieser Koran-Aktion, agierte bisher eher im Hintergrund. Nagie galt hinter den Kulissen als Mentor des viel bekannteren Pierre Vogel. Nun scheinen sich die Kräfteverhältnisse zu verändern“, analysiert Guido Steinberg, Islamismus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik gegenüber dieser Zeitung.

Pikant dabei: Experten schätzen Pierre Vogel, den islamistischen Prediger aus dem Rheinland, als wesentlich gemäßigter ein als Abou-Nagie. Nagie steht im Verdacht, radikale Dschihadisten („Gotteskämpfer“) zu unterstützen. Und er will nun 25 Millionen Korane gratis verteilen lassen..