Essen.. Seit Tagen verteilen islamische Fundamentalisten Gratis-Korane in deutschen Städten. Was sagen die Vertreter der gemäßigten Muslime und ihre Verbände dazu? Sie fürchten die Instrumentalisierung ihrer Heiligen Schrift – und dass die verteilten Korane im Abfall landen könnten. Die Salafisten wollen ihr Aktion fortsetzen.

Seit Tagen verteilen radikalislamische Salafisten Gratis-Korane in deutschen Fußgängerzonen. Dass der fundamentalistische Prediger Ibrahim Abou-Nagie hinter der Aktion stehen soll, hat Politiker aller Parteien beunruhigt. Zurückhaltend äußern sich bislang die offiziellen Vertreter der Muslime in Deutschland.

Der Koordinationsrat der Muslime, Dachverband von vier islamischen Organisationen in Deutschland, gab am Freitag eine Erklärung ab. Sie ist von der Sorge um die Stellung des Korans als einem Heiligen Buch geprägt. Es sei berechtigt zu fragen, „was bei aller Legitimität mit der großflächigen Verteilung des Korans durch die Aktion ,Lies’ bezweckt werden soll“, heißt es in dem Papier. „Insbesondere ist zu hoffen, dass Einzelne darin nicht eine werbewirksame Aktion für ihre Gruppe sehen. Eine Instrumentalisierung des Heiligen Buches ist unbedingt abzulehnen.“ Im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe fügte der Sprecher des Koordinationsrates, Ali Kizilkaya hinzu: „Man muss die Gruppe und das, was sie verteilt, auseinanderhalten.“ Vom Staat erwartet Kizilkaya nun rechtsstaatliches Handeln. „Ich würde die Aktion nicht als Grund zur Beunruhigung betrachten“, sagte er.

Aiman Mazyek sitzt dem Zentralrat der Muslime vor. Eine Stellungnahme zur Aktion der Salafisten lehnte der Verband am Freitag ab. Er verweist stattdessen auf ein Interview, das Mazyek zuvor gegeben. Darin äußerte Mazyek vorsichtige Kritik an der Aktion der Salafisten: „Grundsätzlich ist die Weitergabe des Korans an Interessenten eine vielversprechende Tat im Islam. In einer Zeit, wo Ängste, Vorurteile und Missverständnisse das Bild der Muslime beherrschen, ist Hikma (Weisheit) und Mauitha (die gute Rede) in der Dawa (Einladung zu Gespräch über den Islam) besonders gefragt. Vor diesem Hintergrund ist die millionenfache Verteilung des Korans an beliebige Haushalte umstritten, denn das Wort Gottes ist kein PR-Flyer oder Flugblatt, den man als Massenware verteilt.“ Mazyek äußerte die Sorge, der Koran werde im schlimmsten Fall als Altpapier weggeworfen.

Salafisten setzen Aktion fort

Ungeachtet aller Kritik wollen die radikalmuslimischen Salafisten ihre umstrittene Koran-Verteilaktion am Wochenende fortsetzen. In mehreren Großstädten seien Stände geplant, hieß es am Freitag. Bundesweit seien 38 Info-Stände der Salafisten geplant, berichtete die Zeitung "Die Welt". Betroffen seien unter anderem Hamburg, Berlin, Kiel, Lübeck, Offenbach, Wiesbaden und Darmstadt. Der Bundesverfassungsschutz warnte vor der Aktion. "Es geht hier um salafistische Propaganda und die Rekrutierung von Anhängern", sagte ein Sprecher der Behörde. Die Koran-Verteilung sei dafür nur ein Vehikel.

Nach einem Bericht der "Welt" rief der mutmaßliche Initiator der Aktion und radikalislamische Prediger Abou-Nagie seine Anhänger dazu auf, an der Koran-Verteil-Aktion festzuhalten. "Was mich sehr verärgert, ist, dass die Ungläubigen alles versuchen, dieses Projekt zu stoppen", zitierte das Blatt den Mann. "Bei Allah, dieses Koran-Projekt ist das Beste, was ich und dieses Land jemals gesehen haben."

Ermittlung wegen Droh-Video

Zugleich hatten Salafisten die Kritiker ihrer Koranverteilung in Deutschland bedroht und beschimpft. Nach Angaben des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) kündigten sie im Internetportal „youtube“ an, persönliche Daten von Journalisten zu veröffentlichen. Zudem seien die Betroffenen des „Tagesspiegel“ und der „Frankfurter Rundschau“, die über Aktivitäten der Islamisten berichtet hatten, als „Affen und Schweine“ beschimpft worden. Zu den Drohungen sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums: "In den bekanntgewordenen Fällen werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchgeführt." Die Polizei erwartet, dass es bei der Fortsetzung der Koran-Verteilaktion zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und ihren Gegnern kommen wird.

Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban warnte, die Salafisten würden den Religionsfrieden stören. Die Gruppe betreibe eine ganz aggressive Missionsarbeit mit modernen Mitteln. "Das passt nicht zu unserem demokratischen Verständnis", sagte er. Die Ideologie der Salafisten sei sehr gefährlich. Alle Menschen würden ausschließlich in zwei Gruppen eingeteilt: "Die Guten sind die gläubigen Muslime und die Bösen der Rest der Menschheit." Dieser Rest müsse missioniert, unterworfen oder getötet werden, sagte Ghadban. Mit Blick auf die muslimischen Organisationen in Deutschland sagte er weiter, es gebe noch keine scharfe Trennung zwischen den muslimischen Dachverbänden und den Salafisten. "Es gilt nach wie vor die Solidarität unter den Muslimen, egal welcher Strömung sie angehören."

Mehr Distanzierung gefordert

Der Geschäftsführer der Grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, forderte muslimische Verbände und Moscheegemeinden auf, sich von den Salafisten zu distanzieren. Zwar sei eine kostenlose Verteilung von Koranen für sich genommen harmlos. Er verwies aber auf Proteste, die Koran-Schändungen in Afghanistan ausgelöst hatten und erklärte: "Wer jedem einen Koran ungefragt in die Hand drückt, läuft natürlich auch Gefahr, dass damit Schindluder getrieben wird."

Die Religionsbeauftragte der Unionsfraktion, Maria Flachsbarth, erklärte: Wer Religion politisch instrumentalisiert und unter dem Deckmantel der Religion Gewalt gegen vermeintlich Ungläubige fordert, der muss sich Kritik und Argwohn gefallen lassen." (mit Material von Reuters)