Damaskus/Istanbul. Am Dienstag läuft die Frist für den in einem Friedensplan vereinbarten Abzug der Regierungstruppen aus syrischen Städten ab. Doch offenbar hält sich Syriens Staatschef Assad nicht an den Waffenstillstands-Plan von Ex-UN-Chef Kofi Annan. Auch die Rebellen stellen die Kampfhandlungen nicht ein.

Wenige Stunden vor dem geplanten Beginn eines Truppenabzugs zur Vorbereitung einer Waffenruhe in Syrien gibt es kaum noch Hoffnung, dass sich Präsident Baschar al-Assad an den Friedensplan halten wird. Es gebe "keine Anzeichen", dass die Truppen des Staatschefs sich darauf vorbereiteten, aus den Städten abzurücken, sagte die US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland am Montag. Auch die Rebellen unternahmen offenbar keine Anstalten, die Kampfhandlungen einzustellen. Oppositionelle erklärten, leicht bewaffnete Einheiten der Assad-Gegner hätten mehrere Angriffe auf Regierungssoldaten ausgeführt.

Der Truppenabzug ist ein zentraler Bestandteil des Sechs-Punkte-Plans von Ex-UN-Chef Kofi Annan, der im Auftrag der Vereinten Nationen und der Arabische Liga in dem Konflikt vermittelt. Der Zeitplan sieht vor, dass die Regierung ab Dienstag 5 Uhr (MESZ) mit dem Truppenabzug aus den Städten beginnt. 48 Stunden später soll ein Waffenstillstand für beide Konfliktparteien in Kraft treten. Allerdings hat Assad am Sonntag von seinen Gegnern eine schriftliche Garantie verlangt, vor einem Abzug seiner Truppen die Kämpfe einzustellen. Gleichzeitig setzte sich die Gewalt im Land massiv fort und sie griff auf die Türkei und den Libanon über.

Bei dem seit mehr als einem Jahr andauernden Aufstand gegen Assad haben dessen Sicherheitskräfte nach UN-Angaben rund 9000 Menschen getötet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete von willkürlichen Tötungsaktionen durch Assad-treue Kämpfer. "In ihrem verzweifelten Bemühen den Aufstand niederzuschlagen haben syrische Kräfte Menschen kaltblütig umgebracht, Zivilisten wie Oppositionskämpfer", sagte ein Sprecher der Organisation. Im Zeitraum zwischen Ende 2011 und März 2012 gebe es Berichte über 101 solche Fälle. Nach syrischen Angaben sind vom Ausland unterstützte Extremisten für den Tod von 2500 Sicherheitskräfte verantwortlich. Die Berichte lassen sich nur schwer überprüfen, weil die Regierung in Damaskus eine freie Berichterstattung untersagt.

Erdogan wirft Syrien "klare Grenzverletzung" vor

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Schüsse auf Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze als "klare Grenzverletzung" durch Syrien verurteilt. Flüchtlinge würden von den syrischen Regierungstruppen rücklings erschossen, sagte Erdogan nach türkischen Medienberichten am Dienstag am Rande seines Besuchs in Peking. Die Türkei werde bei ihrer Antwort von den Möglichkeiten des Völkerrechts Gebrauch machen. Erdogan deutete an, dass Russland und China ihre Position im Syrien-Konflikt verändern könnten. Bei Schüssen vom syrischen Staatsgebiet auf ein Flüchtlingslager in der türkischen Grenzprovinz Kilis waren am Montag zwei Syrer und zwei Türken verletzt worden. Bei vorangegangenen Gefechten an der Grenze wurden mindestens zwei syrische Regierungsgegner getötet.

Die Ereignisse belebten in der türkischen Öffentlichkeit die Debatte über die Einrichtung einer türkischen Pufferzone auf syrischem Gebiet. Erdogan äußerte sich bei Fragen von Journalisten diesbezüglich ausweichend, erneuerte aber seine Zweifel an der Bereitschaft der syrischen Regierung, ihre Truppen wie zugesagt aus den Städten abzuziehen.

Mit Blick auf Russland und China, die bisher zu den wichtigsten Unterstützern der syrischen Führung gehören, sagte Erdogan, er sehe eine allmähliche Positionsveränderung. Er erhalte bei vertraulichen Gesprächen das Signal, dass beide Staaten mit der Türkei zusammenarbeiten wollten. Im Verlauf seines China-Besuches könnte es bei diesem Thema "wichtige Ergebnisse" geben.

Menschenrechtsbeauftragter prangert Lage in Syrien an

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, hat die syrische Regierung als "eines der grausamsten Regime" bezeichnet. Löning sagte am Montag im Hessischen Rundfunk, was in Syrien passiere, sei "unvorstellbar unmenschlich".

Angesichts der eskalierenden Gewalt am Osterwochenende forderte Löning den syrischen Präsidenten Baschar Assad auf, den internationalen Friedensplan einzuhalten. Assad müsse den Friedensplan und den damit verbundenen Waffenstillstand umsetzen. Die Frage einer militärischen Intervention stellt sich für Löning derzeit nicht. "Und selbst eine Luftkontrolle oder ähnliches wird an der momentanen Situation nichts ändern", sagte er.(rtr/dapd)