Berlin. . Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ist zurück aus dem südkoreanischen Seoul, wo es beim der Nuklearsicherheitsgipfel um den Atomstreit mit dem Iran ging. Im Interview beklagt er den “Neobellizismus“: So werde der Eindruck erweckt, militärische Eingriffe seien schneller, wirkungsvoller und „chirurgisch“, sprich, ohne zivile Opfer, möglich.
Im Iran droht ein militärischer Konflikt. Steht Deutschland an der Seite Israels? Auch militärisch? Und wie lange sind deutsche Soldaten noch in Afghanistan? Darüber sprach Winfried Dolderer mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP) auf dem Rückflug vom Nuklearsicherheitsgipfel in Südkorea.
Herr Westerwelle, wie groß ist Ihre Sorge, dass der Atomstreit mit dem Iran entgleist?
Guido Westerwelle: Ich mache mir große Sorgen, dass es zu einer militärischen Eskalation wegen des iranischen Nuklearprogramms kommen könnte. Und weil die Sorgen so groß sind, sind unsere Anstrengungen umso größer, einen Krieg zu verhindern und eine politische, diplomatische Lösung zu ermöglichen.
Aber hat nicht seit Jahren die Diplomatie ihre Chance gehabt?
Westerwelle: Aus heutiger Sicht hätte man mit der Sanktionspolitik deutlich früher und entschiedener beginnen müssen. Aber jetzt haben wir die Sanktionen verschärft und sie beginnen zu wirken. Im April kommt es zur Wiederaufnahme der Verhandlungen.
Dass Israels Sicherheit Deutschlands Staatsräson sei, ist das Credo der Bundesregierung. Im Notfall auch mit der Konsequenz eines Militäreinsatzes an der Seite Israels?
Westerwelle: Dieser Satz ist so klar und eindeutig, dass man ihn nicht interpretieren muss.
Nochmals gefragt: Engagieren wir uns notfalls auch militärisch?
Westerwelle: Deutsche Außenpolitik hat, jedenfalls solange ich im Amt bin, eine klare Priorität, nämlich Kriege zu verhindern und politische und diplomatische Lösungen zu ermöglichen. Im Atomstreit mit dem Iran setzen wir auf die Kombination von Sanktionen und der Bereitschaft zu substanziellen Verhandlungen.
Aber die „Kultur der Zurückhaltung“ ist altmodischer Genscherismus. Sind wir nicht mittlerweile etwas forscher im Auftreten?
Westerwelle: Die Kultur der militärischen Zurückhaltung ist zeitgemäßer denn je. Sorgen macht mir ein Neobellizismus, der den Eindruck erweckt, dass militärische Eingriffe schneller, wirkungsvoller und „chirurgisch“, sprich, ohne zivile Opfer, möglich seien.
Sehen Sie diesen Neobellizismus auch in Deutschland am Werk?
Westerwelle: Es gibt diesen Neobellizismus auch in der deutschen Diskussion. Manchen Kommentar zum Thema „Schutzverantwortung“ für Zivilbevölkerung habe ich mir vor fünf Jahren noch nicht vorstellen können – so ehrenwert die Motive sein mögen.
Die Bundeswehr ist jetzt seit zehn Jahren in Afghanistan. Wie lautet ihre Bilanz?
Westerwelle: Wir sind zu lange von einer zu großen Erwartungshaltung ausgegangen. Zugespitzt formuliert: Wir können unsere Soldaten doch nicht erst zurückholen, wenn aus Afghanistan so etwas wie die Schweiz Zentralasiens geworden ist. In meiner Amtszeit wurde der Abzug der Kampftruppen eingeleitet. Es wird nur eine politische, keine militärische Lösung in Afghanistan geben. Auch in Afghanistan wäre es besser gewesen, wenn man früher auf politische Lösungen gesetzt hätte.
Nun hat der afghanische Präsident Karsai kürzlich gesagt, er wäre die Besatzer lieber heute als morgen los. Sind wir schon vor 2014 draußen?
Westerwelle: Präsident Karsai hat vor allem von der Notwendigkeit gesprochen, die Sicherheitsverantwortung in den ländlichen Gebieten schneller an die afghanische Seite zu übertragen. Dem stimme ich zu. Ich rechne damit, dass bereits in diesem Frühjahr mehr als die Hälfte des afghanischen Staatsgebietes unter afghanischer Sicherheitsverantwortung stehen wird.